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Der durchleuchtete Bürger - nach dem Willen der Koalition dürfen Daten aus Handyverträgen auch ohne Richtervorbehalt abgerufen werden.

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Vorratsdatenspeicherung: Datenabfragen wegen Hundehaltern und Parksündern

Die schwarz-gelbe Koalition öffnet dem Staat neue Zugänge zu Daten der Bürger. Wohin das führen kann, zeigt der Blick nach Großbritannien.

Das Gesetz hat es in sich. Namen und Adressen von Handybesitzern, Passwörter und Computeradressen – all das soll für die Sicherheitsbehörden künftig noch leichter verfügbar sein. Am 3. Mai soll der Bundesrat über eine Veränderung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) abstimmen. Eigentlich hatte das Bundesverfassungsgericht ja Anfang des letzten Jahres die bisherigen Regelungen zur sogenannten Auskunft über Bestandsdaten in mehreren Punkten als verfassungswidrig eingestuft. Doch geht es nach dem Willen der Bundesregierung, soll es staatlichen Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden zukünftig sogar ohne richterlichen Bescheid erlaubt sein, die Identität von Handybesitzern und Internetnutzern hinter einer Telefonnummer beziehungsweise einer IP-Adresse bei den Providern abzufragen. Mit richterlicher Genehmigung sollen sogar PIN- und PUK-Nummern von Handys sowie Passwörter für E-Mail- und Cloud-Dienste abgefragt werden. Ebenfalls umstritten ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Ausweitung der Gründe, wegen derer staatliche Stellen die Nutzer hinter den IP-Adressen und Handynummern abfragen können. War bislang als einziger Grund für eine Bestandsdatenauskunft die Verfolgung von Straftaten zulässig, so sollen von nun an schon einfache Ordnungswidrigkeiten für einen solchen Eingriff in die Privatsphäre von Bürgern ausreichen.

Was dies zukünftig bedeuten könnte, zeigt ein Blick nach Großbritannien, wo staatliche Stellen solche erweiterten Überwachungsbefugnisse bereits seit 2000 besitzen. Seit Einführung des „Regulation of Investigatory Powers Act“ stieg dort dieZahl der Behörden, die von den Telefon- und Internetanbietern Informationen über ihre Nutzer abfragen kann, sprunghaft an. Aus ursprünglich neun staatlichen Stellen im Jahr 2000 wurden bis zum Jahr 2006 circa 800 verschiedene Stellen, die Anfragen zu Bestands- und Verkehrsdaten stellen konnten. Öffentliche Diskussionen lösten dabei unter anderem mehrere Fälle aus, in denen das Gesetz von Kommunen dazu genutzt wurde, um Eltern zu überführen, die wegen einer begehrten Schule, einen falschen Wohnsitz in einem anderen Ortsteil angemeldet hatten. Weitere Verstöße, bei denen Behörden ihre Befugnisse nach dem neuen Sicherheitsgesetz unverhältnismäßig, also zur Aufklärung strafrechtlich kaum relevanter Ordnungswidrigkeiten nutzen, waren etwa Abfragen von Standortdaten von Handys. Die Behörden nutzen die Informationen, um Parksünder zu überführen. Sie werteten außerdem die Daten von Überwachungskameras aus, um die Halter von Hunden zu überführen, die ihr Geschäft auf dem Bordstein erledigen.

Allerdings können in Großbritannien neben Bestandsdaten auch Verkehrsdaten, inklusive Standortdaten, von den Providern abgefragt werden. Letztere erlauben es den Ermittlern, Bewegungsprofile zu erstellen. Möglich ist diese Auskunft britischer Behörden über Verkehrsdaten von Handy- und Internetnutzern, weil das Königreich bereits die 2006 in Kraft getretene Richtlinie der europäischen Union zur Vorratsdatenspeicherung in nationales Recht umgesetzt hat. Zuvor hatte die britische Regierung selbst ihre Ratspräsidentschaft dazu genutzt, die Richtlinie einzuführen.

Das Beispiel Großbritannien dient Kritikern als negative Blaupause. Sie fürchten, dass mit dem neuen Gesetzentwurf zu den Bestandsdaten die Vorratsdatenspeicherung, die Deutschland zunächst ausgesetzt hat (siehe Kasten) nun durch die Hintertür wieder eingeführt werden könnte. Davor warnt etwa die Gesellschaft für Informatik, die wichtigste Fachgesellschaft für Informatik im deutschsprachigen Raum. Denn neben der Abfrage von Bestandsdaten und eventuellen Zugangssicherungen sollen die Telekommunikationsunternehmen als Vorbereitung auf mögliche Auskunftsersuchen auch Verkehrsdaten ihrer Nutzer auswerten können. Weil dazu aber Verkehrsdaten über den momentan erlaubten, kurzen Zeitraum hinaus gespeichert werden müssten, und der Gesetzentwurf hier keine genauen Anhaben macht, klingt der Passus momentan nach einer Vorratsdatenspeicherung, die nicht so heißen darf.

Hartmut Pohl, Sprecher des GI-Arbeitskreises „Datenschutz und IT-Sicherheit“ kommt daher zu einem scharfen Urteil: „Mit den geplanten Änderungen wird das Telekommunikationsgeheimnis nicht nur im Kern ausgehöhlt, auch das Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme massiv verletzt.“ Trotz seiner Kritik sieht Pohl jedoch auch die prinzipielle Notwendigkeit für Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden, „unter engen Voraussetzungen und nur in Ausnahmefällen auf diese Telekommunikationsdaten zugreifen zu können.“

Diese Kritik ist nicht Ausdruck von kulturpessimistischer Technikphobie oder utopischer Vorstellungen vom Internet als herrschaftsfreiem Raum. Sie kommt, wie die Kritik vieler Netzaktivisten auch, aus der Mitte der Gesellschaft.

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar stellt die Notwendigkeit, dass Sicherheitsbehörden in bestimmten Strafverfolgungsfällen erfahren müssen, wer hinter einer IP-Adresse oder einer Handynummer steckt, nicht in Frage. Doch, dass die Polizei zukünftig schon bei kleinsten Ordnungswidrigkeiten eine Abfrage machen könnten, widerspricht nach seiner Auffassung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung. Er fordert eine richterliche Genehmigung auch für einfache Bestandsdatenabfragen. Kritik äußerte Schaar auch mit Blick auf die bald anstehende Umstellung auf das Internetprotokoll IPv6-Protokoll. Dieses ermöglicht zukünftig die Zuweisung fester Adressen zu einzelnen Rechnern. Damit wäre die Identität von Nutzern noch leichter erfassbar.

Als der Bundestag am 23. März über die geplanten Änderungen am Telekommunikationsgesetz abgestimmt hat, konnte sich die Regierung einer breiten Mehrheit sicher sein. Denn auch die Sozialdemokraten haben für den Gesetzestext gestimmt, nachdem unter anderem der Richtervorbehalt für die Abfrage von PINs und Passwörtern ergänzt worden war. Die gewichtige Kritik von Informatik-Experten, Datenschützern und Netzaktivisten wurde dagegen bislang nicht berücksichtigt.

Am letzten Wochenende fanden bundesweit mehrere Demonstrationen statt, für den 27. April sind weitere geplant. Auch der Bundesrat könnte nach wie vor das Gesetz zur Nachbesserung zurück in den Bundestag geben. Viel Zeit ist nicht mehr bis zum 3. Mai.

Michael Krause

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