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Besser leben mit Wlan?

© dpa

W-Lan für Obdachlose: Wohnungslose wollen nicht digital abgehängt werden

Im Netz weiß keiner, dass Tobi auf der Straße lebt. Für Obdachlose ist das Netz der Weg zu Teilhabe und Teilnahme.

Es war verdammt schlechtes Wetter. Tobi konnte es nicht erwarten, unter die Brücke in der Hamburger Hafencity zu kommen. Schneeregen, Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Die Brücke schirmte ab vor dem Winter, immerhin. Wärmer wurde es nicht für Tobi. Er war klitschnass, erzählt er. Egal, er setzte sich, wickelte seinen wichtigsten materiellen Besitz, sein Laptop, aus. Dann steckte er sich die Kopfhörer in die Ohren und war weg. Tobi, 26, ist obdachlos. Seit seiner Jugend lebt er auf der Straße. Online ist er trotzdem. Er ist ein begeisterter Gamer.

„Ich und mein Laptop, das ist meine stressfreie Zone“, sagt Tobi, dessen Nachname geheim bleiben soll. Er ist ein großer, schlaksiger Mann und etwas blass, aber mit blauem Iro auf dem Kopf. Tattoos zieren seine Knöchel, die Hand, mit der er während des Gesprächs lässig auf seinem Smartphone herumwischt. „Das Netz hat mir trotz der Tatsache, dass ich auf der Straße sitze, immer das Gefühl gegeben, dass ich auch Spaß haben kann im Leben wie jeder andere. Ich bin deshalb nie abgeschmiert, weil ich eine Beschäftigung hatte.“

Für einen wohnungslosen Menschen wie Tobi stellen sich jeden Tag Fragen neu, mit denen sich der Rest der Bevölkerung nicht auseinandersetzen muss: Wo schlafe ich? Wie kalt wird es heute Nacht? Wo bekomme ich etwas zu essen? Auf der Straße erleben Obdachlose nicht nur kalte Nächte, es schlagen ihnen auch Vorurteile entgegen von denen, die es besser haben im Leben. Die eine Wohnung haben, eine Arbeit. Genauso wie für diese Menschen gilt aber auch für Obdachlose: Sie leben in einer Welt, die sich digitalisiert. Ohne Internetzugang bleiben wohnungslosen Menschen immer mehr Bereiche dieser Welt verschlossen. Zur Stigmatisierung auf der Straße kommt das digitale Abgehängtsein. Viele Obdachlose wollen aber nicht abgehängt sein, sie wollen teilhaben.

„Das Internet ist für Wohnungslose wichtiger als für Menschen mit einer festen Adresse.“

Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmission schätzt, dass in Berlin 6000 Menschen wohnungslos sind. Andere Einrichtungen gehen von bis zu 11 000 Betroffenen in der Hauptstadt aus. Wie viele das Internet nutzen, wird nicht erfasst, sagt Wohlwend. Internetzugang für Obdachlose, das ist der spontan aufgestellte PC in einer Übernachtungsunterkunft oder das W-Lan-Passwort, das plötzlich an einer Wand in der Wärmestube hängt. Groß angelegte Projekte gibt es nicht. Dank ihrer Smartphones seien viele Obdachlose nicht mehr auf einen Computer angewiesen, bräuchten nur ein offenes Netz, so Wohlwend: „Mobile Geräte sind für Obdachlose sehr wichtig, gerade wegen der Möglichkeit, im Netz zu surfen.“

Dass ein Internetzugang rege nachgefragt wird, hat auch Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer vom Hamburger Straßenmagazin „Hinz und Kunzt“ erlebt. Wer in den Aufenthaltsraum der Redaktion kommt, findet neben der Kaffeetheke einen Computer auf einem kleinen Tisch. Jeder Obdachlose kann von hier aus kostenlos ins Internet. Trotz solcher Initiativen: Insgesamt sei das Internetangebot für Obdachlose noch zu gering, urteilt Karrenbauer. „Wo es Internet gibt, gibt es überall Wartezeiten, auch bei uns am Computer. Das Angebot muss eindeutig noch ausgebaut werden – auch weil die Zahl der Obdachlosen steigt.“ Aktuell gehe er von 2000 Wohnunglosen in Hamburg aus

Auch Tobi, der Gamer, kommt regelmäßig in die „Hinz und Kunzt“-Räume

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Nach seiner Beobachtung ist „das Internet für Wohnungslose wichtiger als für Menschen mit einer festen Adresse“. Internetzugang sei heute eine Grundvoraussetzung, um viele Alltagsaufgaben bewältigen zu können. Behördenangelegenheiten ließen sich oft schneller übers Netz regeln. Termine könnten online vereinbart, Nachfragen per Mail gestellt werden. Gerade wenn man keine Postanschrift hat, ist das praktisch. Wer Obdachlosen Internet bereitstelle, entlaste außerdem die Sozialarbeit, sagt Karrenbauer. Im einfachsten Fall googeln Menschen, die obdachlos geworden sind, welche Hilfsangebote es in ihrer Stadt gibt.

Das Internet gibt 24 Stunden am Tag Auskunft und stellt keine unerwünschten Fragen. All diese Vorteile des Netzes sind nicht nur für Obdachlose relevant, sie tauchen gerade auch in der Diskussion über Internetzugang für Flüchtlinge auf.

Auch Tobi, der Gamer, kommt regelmäßig in die „Hinz und Kunzt“-Räume hinter dem braunroten Hamburger Backstein. Er verdient sich hier als Verkäufer etwas dazu, holt seine Zeitungen, trifft im Innenhof Kollegen. Auf den Computer in der Redaktion ist er nicht angewiesen. Er besitzt selbst internetfähige Technik, ein Smartphone und bis vor Kurzem auch ein Laptop. Sein Vater war es, der Tobi mit sieben Jahren seinen ersten Computer schenkte. Die Faszination von damals, sie hält bis heute. „Zuerst kommt mein Hund. Dann meine Technik. Dann komme ich“, ordnet Tobi seine Prioritäten.

Während einer „World of Warcraft“-Session

Das größte Problem für einen digital vernetzten Obdachlosen wie ihn ist der Strom. Tobi hat sich deshalb Solarakkus und einen Stromgenerator angeschafft, neun Monate hat er darauf gespart. Und er weiß genau, in welchen Parkhäusern es Steckdosen im Beton gibt. Nichts nervt mehr, als wenn während einer „World of Warcraft“-Session der Bildschirm schwarz wird. Aktuell steht er auf Strategie- und Online-Rollenspiele, erzählt Tobi.

Wenn es regnet, wickelt er alle seine Besitztümer mehrfach in Plastik- und Mülltüten ein, damit sie nicht feucht werden. Alles, was er hat, trägt er bei sich. Seit einigen Wochen ist Tobi in der Wohnung eines Freundes untergekommen. Ob er den Winter dort bleiben kann: abwarten. Zumindest die Sache mit dem Strom ist gerade aber kein Problem.

Um auf der Straße ins Netz zu kommen, kauft Tobi billige Prepaid-Surfsticks von Lidl oder Aldi oder sucht sich ein freies W-Lan. „Aber viele Cafés verscheuchen einen, wenn man so aussieht wie ich. Die haben zwar Internet, aber nur für zahlende Kunden“, so Tobi. „In meiner Situation kann ich aber nicht für vier Euro einen Starbucks-Kaffee kaufen, um für eine halbe Stunde das W-Lan nutzen zu dürfen.“ Er wünscht sich mehr feste Anlaufstellen wie in der „Hinz und Kunzt“-Redaktion, wo Obdachlose ins Internet gehen können. Denn freies W-Lan ist wegen der Gesetzeslage rar in Deutschland. Die sogenannte Störerhaftung macht es extrem unattraktiv, sein Netz zu öffnen – für Obdachlose ein großes Problem.

„Du wirst verachtet, wenn du auf der Straße lebst."

Wo er auftaucht, glauben die Menschen gleich Bescheid zu wissen über einen wie ihn, sagt Tobi. „Du wirst verachtet, wenn du auf der Straße lebst. Leute schauen dich schräg an und haben Vorurteile: ,Der ist faul, der ist Alkoholiker.‘“ Im Netz ist das anders. Dort kann er selbst bestimmen, wann und wie viel er von sich preisgibt – und hat die Chance auf einen positiven ersten Eindruck. Seine Obdachlosigkeit definiert ihn im Internet nicht. Wie für viele andere Wohnungslose ist das Netz für Tobi auch wichtig, um Kontakte zu pflegen. Sein Facebook-Profil kann Tobi von jedem beliebigen Ort aus aufrufen und sich einloggen. Er hat Freunde im Ausland, mit denen er über das soziale Netzwerk kommuniziert. Anrufen wäre zu teuer.

Während ihm seine Technik Anonymität im Netz ermöglicht, zieht Tobi damit auf den Straßen Hamburgs besondere Aufmerksamkeit auf sich. Wenn Passanten ihn mit seinem Smartphone sitzen sähen, dann gebe es allein deswegen schiefe Blicke, sagt Tobi. Vielen Deutschen scheint der Gedanke fremd zu sein, dass auch Menschen ohne Wohnung online sein wollen; das hat auch Sozialarbeiter Karrenbauer erlebt. Als er gebrauchte Smartphones gesammelt und an Obdachlose verteilt habe, hätte es Anrufe von verwunderten Hamburgern gegeben. Technik gilt hierzulande immer noch als Luxusgut, als Statussymbol. Dabei ist das Smartphone in der Hand eines Obdachlosen meistens nur Zeichen für eines: den Wunsch, nicht auch noch digital den Anschluss zu verlieren.

Angela Gruber

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