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Medien: Waffen, Schimmel, blanke Brüste

Am Sonnabend wird die „tageszeitung“ 25 Jahre alt. Längst sieht sie aus wie andere Zeitungen auch. Dabei wollte sie immer anders sein als die Etablierten. Zehn Episoden erzählen, was das Blatt so besonders gemacht hat

Philosophieren statt produzieren

Der Tod des französischen Philosophen Jean Paul Sartre am 15. April 1980 markierte einen der denkwürdigsten Tage der „taz“. Die feurige, zuweilen turbulente Debatte um Einfluss und politische Identität des Hingeschiedenen führte zur längsten Redaktionssitzung aller Zeiten. Sie begann um 9 Uhr und dauerte mehr als sechs Stunden. Das gesamte Werk Sartres und seine existenzialistische Wucht wollten im Kontext von Heidegger, Buber und Camus intensiv diskutiert werden – auch das dramatische Schaffen, Atheismus und Nihilismus, sein Einfluss auf den bewaffneten Kampf und sein Leben mit der Beauvoir. Als der letzte Diskutant erschöpft die Zigarette ausdrückte und seine heisere Stimme senkte, war es weit nach 15 Uhr. Redaktionsschluss der damaligen Ausgabe: 13 Uhr 30! Am nächsten Tag waren nur 18 schlecht redigierte Zeilen im Blatt: „Jean Paul Sartre ist tot.“ Eine dazugestellte Liste biografischer Daten brach jäh im Jahr 1940 ab. Wenigstens hatte CohnBendit aus Frankfurt einen kleinen Artikel geschickt.

Manfred Kriener, 50, verließ die „taz“ 1990; er ist Chefredakteur der Zeitschrift „Slow Food“.

Bemerkenswert: d. säzzer]

Die „taz“ hatte von Anfang an die modernste Technik der Republik: Computer und Fotosatz. Wir Setzer tippten, was die Redakteure uns hinlegten. Wenn uns etwas nicht passte, schrieben wir Bemerkungen in eckigen Klammern dazu, die auch gedruckt wurden: das glaubt doch kein Mensch; d. säzzer] oder auf die SPD war noch nie Verlaß; d. säz]. Es waren Zwischenrufe wie in einer Versammlung, und oft bekamen die Artikel dadurch eine andere Richtung. Anfang der 90er Jahre schlief die Setzerbemerkung ein. Mein Traum ist, dass bei „Christiansen“ mal ein Kameramann ruft: „Herr Merz, vor zwei Jahren haben Sie doch noch das Gegenteil behauptet!"

Georg Schmitz, 52, ist „taz“-Gründer, er gilt als Vater der Setzerbemerkung und arbeitet inzwischen in der Abo-Verwaltung der „taz“.

Flache Hierarchie

Januar 1990, erster Arbeitstag. Auf der Redaktionskonferenz fällt mir eine flott zurecht gemachte Dame auf, die eine deutliche Spur zu laut redet und wahllos Menschen abküsst. Ich frage den Kollegen neben mir: „Wer ist denn diese Ziege?“ Antwort: „Georgia Tornow, sie ist unsere Chefredakteurin.“ Die beiden Sportredakteure hatten mich eingestellt, ohne der Chefin etwas zu sagen und mich vorzustellen. Das war normal.

Michaela Schießl, 41, war bis 1995 in der „taz“ Sportredakteurin und Reporterin; sie leitet das Berliner Büro von „Spiegel-Online“.

Das weibliche I

Für die Verbreitung des großen I waren, auch wenn es heute keine SchweinIn mehr glaubt, drei Männer verantwortlich. Der erste, Christoph Busch (heute Drehbuchautor in Hamburg), schrieb 1981 in einem Buch über freie Radios von „HörerInnen“. Von da wanderte das I in ein Flugblatt des Züricher freien Radios LoRa, 1984 übernahm es die Schweizer Wochenzeitung „WoZ“. Ein zweiter Mann, „taz“-Redakteur Oliver Tolmein, führte es 1986 in die „taz“ ein, wo es den deutschen Sprachgebrauch beeinflusste, bis hinein in heutige StellenanzeigInnen. Der dritte Mann, Berlins Innensenator Erich Pätzold in der ersten rot-grünen Koalition, ordnete im Juli 1989 die „Verstaatlichung“ an: Das große I sei für den gesamten Dienstverkehr aller SenatorInnen zu verwenden.

Ute Scheub, 48, war „taz“-Gründerin und langjährige Redakteurin, heute schreibt sie als freie Journalistin unter anderem für die Kinderseite des Tagesspiegel.

Gelebte Solidarität

Die Steine kommen von beiden Seiten, die Scheiben meines Autos zersplittern. Gaspedal durchtreten, bloß weg! Das waren dieselben Personen, die mich kurz vorher bedroht hatten wegen eines Kommentars, der – nicht zum ersten Mal – die radikale Linke kritisierte. Wie reagiert die „taz“ auf den Überfall? Eine Mehrheit der Mitarbeiter lehnt meinen Antrag ab, Anzeige gegen Unbekannt zu stellen. Selber schuld, ist zu hören: bei solch „unsolidarischen“ Berichten. So geht die Bedrohung weiter: Der Keller unter meiner Erdgeschoss-Wohnung wird angesteckt, Flugblätter rufen auf, mich aus Kreuzberg zu vertreiben. Ich erstatte Anzeige. „Ein tazler ging zur Polizei“, lautet die empörte Schlagzeile im Blatt, als die Aussage später in der Öffentlichkeit auftaucht. Wieder streiten die Mitarbeiter erbittert; ich entgehe knapp einer Entlassung. Dafür bezahlt die „taz“ einer Person, gegen die die Polizei ermittelt, den Anwalt. Als Wiedergutmachung.

Gerd Nowakowski, 54, arbeitete von 1980 bis 1998 in der taz, er ist Lokalchef des Tagesspiegel.

Avanti Dilettanti

Ich wurde zur „taz“-RedakteurIn, weil eine Frau schwanger, eine andere klug genug war, den Job kurzfristig abzusagen. Am 2. Juni 1987 betrat ich die Auslandsredaktion. Mein Chromosomensatz schien dabei allgemein problematischer zu sein als die Tatsache, dass ich noch nie zuvor Zeitung gemacht hatte. Ich hatte keine Ahnung. Irgendjemand gab mir einen Stapel Manuskripte, darunter eines über den Freiheitskampf in Ost-Timor, das in nahezu identischer Form jedes Jahr zu irgendeinem Jubiläum wieder abgedruckt werden musste. Bis zur Befreiung eben. „Mach ’ne schöne Seite“, sagte die Kollegin und verschwand. Ich blieb. Sechs Jahre lang.

Alexander Smoltczyk, 45, ist Reporter beim „Spiegel“.

Friede den Waffen

Die „taz“-Spendenaktion „Waffen für El Salvador“ war vom ersten Tag an umstritten. Von den Kirchen über die Unis bis zur „taz“-Redaktion wurde heiß diskutiert: Geld für Waffen für den Befreiungskampf zu sammeln, ist das legitim, ethisch und politisch zu vertreten? Ich fand: ja. In El Salvador versuchte die Militärregierung mit USA-Unterstützung die Opposition zu vernichten; als ein fortschrittlicher Erzbischof vor dem Altar in seiner Kirche erschossen wurde, sagten wir: Es reicht! Nach elf Jahren, am 20.1.1992, wurde die Kampagne beendet, 4,7 Millionen Mark waren zusammengekommen. Zur Geldübergabe flog immer einer von uns rüber, mit 200 000 Dollar in Plastiktüten. Die Commandantes von vier Guerillagruppen zählten Schein für Schein und quittierten per Unterschrift. Ich glaube übrigens nicht, dass mit dem Geld Waffen gekauft wurden. Aber die Aktion „Mullbinden für El Salvador“ wäre keine gesellschaftliche Provokation gewesen.

Christian Ströbele, 64, war Gründer und Justitiar der „taz“; er ist Abgeordneter der Grünen im Bundestag.

Hier kocht der Chef!

Die ersten Jahre ernährten sich die tazler von Kebab, die Reste verfaulten zwischen Manuskripten, in Kaffeetassen blühte grün der Schimmel. Die hygienische Revolution kam ’83, eine Kantine wurde eröffnet. Ich hatte eine halbe Stelle als Redakteur und eine halbe als Koch, pendelte zwischen Pfannen und Agenturmeldungen. Als ich später zum Vollredakteur werden sollte, beschloss die Betriebsversammlung: Okay, aber einen Tag die Woche muss er weiterhin kochen! So war es auch. Lenin hat mal gesagt, jede Köchin müsse die Staatsgeschäfte lenken können. Vermutlich wurde ich deshalb Mitte der 90er Jahre Chef der „taz“.

Norbert Thomma, 52, war in der „taz“ Koch, Vorstand und zuletzt Chefredakteur; er arbeitet als Reporter beim Tagesspiegel.

Die Nackten und die Quoten

Im November 1980 publizierte ein Kulturredakteur unter dem Pseudonym Gernot Gailer pornografische Phantasien, und auf der Leserbriefseite wurde ein Frauen-Folter-Comic gedruckt. Nun reichte es uns „taz“-Frauen: wir streikten. In meiner Wohnung diskutierten wir eine Woche lang unsere Forderungen: 52 Prozent der Stellen für Frauen; Vetorecht bei Texten und Bildern, die weibliche Sexualität abbilden. „Die werden uns Prüderie vorwerfen“, war ein Einwand. „Dann beweisen wir das Gegenteil!“, wurde abgemacht. Am folgenden Samstag stellten wir dem „taz“-Plenum unsere Forderungen vor. Frustrierte Männergesichter und eisiges Schweigen, dann kam der erwartete Spruch: „Ihr seid einfach prüde und lustfeindlich!“ Wir Frauen zogen die Pullover aus und ließen unsere wunderbar geformten Brüste hüpfen. Verunsicherung, ein erstes zartes Kichern, dann zunehmend befreiendes Lachen. Die erste Frauenquote in der Bundesrepublik Deutschland war durchgesetzt.

Gitti Hentschel, 53, war „taz“-Gründerin und Frauenredakteurin; heute ist sie Geschäftsführerin des Feministischen Instituts in der Heinrich- Böll-Stiftung.

Der Einheitslohn

Als Korrektorin bekam ich Ende der 80er 1500 Mark netto. Auch Redakteure verdienten nicht mehr. Der Einheitslohn machte alle gleich, weil jede Arbeit als gleich wichtig galt. Allerdings hatten Korrektoren und Technik-Mitarbeiter eine 30 Stunden Woche: Ein Bonus wegen der „eintönigen“ Arbeit. Dennoch waren 1500 Mark nicht schlecht - verglichen mit den Anfangsjahren, in denen die Tazler ihren Arbeitsplatz oft selbst finanzierten: Viele lebten von Erspartem oder Bafög, alle anderen bekamen 800 Mark. Erst 1992 wurde der starre Einheitslohn abgeschafft. Seitdem wird nach Qualifikation, Berufs- und Betriebszugehörigkeit bezahlt. Ein Hausmeister, Vater von zwei Kindern und seit 20 Jahren dabei, erhält heute 350 Euro mehr als ein Jung-Redakteur. Was es immer noch nicht gibt: ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, weil der eine ein Mann ist oder besser verhandeln kann.

Patricia Wolf, 44, war von 1987 bis 2000 in der „taz“; sie arbeitet beim Chef vom Dienst des Tagesspiegel.

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