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Wahlkampf: Auf der Piratenwelle

Die Generation C64 honoriert nicht Politik im Netz, sondern Politik fürs Netz. Warum die Piratenpartei bei der Europawahl überraschte.

Erst machten sie die Weltmeere unsicher. Dann eroberten sie die Kinoleinwand und das Internet. Jetzt hat die Freibeuterbewegung, in Gestalt der schwedischen Piratenpartei, das Europaparlament geentert. Weht auch über dem Reichstag bald die Totenkopfflagge?

Fakt ist, ob in Schweden oder in Deutschland, die Piratenpartei besitzt ein Alleinstellungsmerkmal, einen „unique selling point“: Keine etablierte Kraft setzt sich so vehement für dieBewohner digitaler Räume ein. Die 15- bis 35-Jährigen, aufgewachsen mit Computern und Internet, heute teilzeitzuhause in virtuellen Lebenswelten, fühlen sich von den im Bundestag vertretenen Parteien nur wenig repräsentiert.

„Da ist in letzter Zeit eine tiefe Kluft entstanden“, sagt der Onlineaktivist Sascha Lobo, der die SPD bei ihren Online-Wahlkämpfen berät. „Die etablierten Parteien nehmen die Netzgemeinde immer noch als zu vernachlässigende Nische wahr.“

Besonders die große Koalition hat sich bei Onlinern keine Freunde gemacht. „Killerspiel“-Verbot, Sperrung von Kinderpornoseiten, Datenvorratsspeicherung zur Terrorismusbekämpfung – das alles sind Gesetzesvorhaben, die das Rechtsempfinden der Generation C64 erheblich verletzen. Die Piraten geben diesem Gefühl eine Stimme. Sie präsentieren sich als eine Protestpartei, die Aufmerksamkeit erreicht, indem Sie mit dem Freibeuterimage spielt und beim digitalen Urheberrecht Maximalforderungen stellt. „Um sich langfristig zu etablieren, müsste sie aber an Souveränität gewinnen und sich von ihrer Monothematik verabschieden“, glaubt Lobo.

Auch der Politbeobachter Axel Wallrabenstein beurteilt die Chancen der Politik-Neulinge skeptisch: „Bei der Bundestagswahl wird die Wahlbeteiligung um 30 Prozent höher liegen als bei der Europawahl. Da wird es für alle kleinen Parteien schwerer.“ Außerdem würden die großen Parteien im Umgang mit den neuen Kommunikationskanälen zunehmend sicherer, so Wallrabenstein weiter.

Die großen Fünf geben sich innovativ: Sonntag eröffnete das ZDF den „Open Reichstag“, in dem Spitzenkandidaten per Videoclip Fragen an die Web-Community richten. Profile bei Facebook und MeinVZ sind inzwischen Standard. Aber Anwesenheit ist nicht gleich Erfolg. Zwar wurden auf dem Videoportal YouTube die rund 50 Europawahl-Clips der Parteien um die 500 000 mal abgerufen, ein Zusammenhang zwischen Klickzahlen und Wahlergebnissen ist aber nicht herzustellen. Im Gegenteil: Videos des großen Wahlverlierers SPD wurden 200 000 mal angeschaut, die Online-Spots der triumphierenden FDP wollten nur 17 000 User sehen. „Es reicht eben nicht, ein paar Videos Online zu stellen. Es kommt eher darauf an, wie man mit dem Netz kommuniziert“, glaubt Wallrabenstein. Hier waren die Liberalen stark, zeigt die Online-Analyse „Wahlradar“: Demnach konnte die Europa-Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin 44 Prozent der Wahl-Berichterstattung im Netz für sich verbuchen.

So viel Aufmerksamkeit bekommen die Piraten nicht. Bundesweit gaben ihnen nur 0,9 Prozent der Wähler ihre Stimme. Aber: In Berliner Szenevierteln wie Kreuzberg und Friedrichshain holten sie 3,4 Prozent, Berlin-weit waren es 1,4 Prozent – mehr als alle anderen nicht im Bundestag vertretenen Parteien. Da die Hauptstadtkieze als Hochburgen der kreativen Elite gelten, könnten die Piraten bei den nächsten Urnengängen auch in anderen deutschen Städten sichere Häfen finden.

Das muss auch Sascha Lobo eingestehen: „Da geht gerade eine große Welle durchs Netz. Viele prominente Blogger haben dazu aufgerufen, für die Piraten zu voten. Einfach um zu zeigen, wie wichtig netzpolitische Themen werden.“ Es scheint nicht auszureichen, als Partei im Netz zu sein, es muss auch Politik für das Netz gemacht werden.

Die FDP mag nicht die spannendsten Web-Videos haben, dafür ist ihre Politik webaffin: Ähnlich wie der andere Europawahlgewinner, die Grünen, stehen sie der Datenspeicherung kritischer und den Reformen des digitalen Urheberrechts offen gegenüber.

Adrian Pickshaus

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