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Medien: Warum Pelé Viagra nimmt

Schleichwerbung breitet sich im Fernsehprogramm aus – die Landesmedienanstalten sind machtlos

Von Wolfgang Scheidt

Letzten Sonnabend stürmten zwei Flitzer ein Rugby-Spiel in Sydney. Flitzer, ganz richtig: zwei Nackte, wie sie Ende der 70er Jahre durch deutsche Fußgängerzonen sprinteten, und noch immer hin und wieder quer über ein Fußballfeld. Nur, dass diesmal die Nackten ein Vodafone-Logo auf ihrem Körper hatten. Hinter dem scheinbaren Chaoten-Gag steckte ein Werbe- Kalkül: Grahame Maher, Geschäftsführer des Mobilfunkanbieters, weiß nämlich, was so eine Provokation im Marketing wert ist. Den beiden Nackten versprach er, für sämtliche Geldbußen, die sie sich wegen Verstoßes gegen die guten Sitten vielleicht einhandelten, aufzukommen. Und sein Plan ging auf: Das Fernsehen berichtete weltweit.

Die unkonventionelle Vodafone- Werbung steht in einer gewissen Tradition. In jüngster Zeit bleibt Werbung häufig nicht mehr in ihren Werbeinseln. Sie infiltriert das Fernseh-Programm, bedient sich Guerilla-Tricks und landet so im redaktionellen Umfeld. Es fängt an mit der Cornflakes-Packung, die exponiert in der „Lindenstraße“ auf dem Frühstückstisch steht. Es hört auf mit den Abspännen von Daily Soaps wie „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, in denen unter der Rubrik „Die Sendung wurde ausgestattet von“ eine lange Liste von Markenn durchs Bild läuft. „Ein innovatives Beispiel ist der so genannte Frame- Split während der Tiersendung ,Schnupper-Alarm’ auf RTL 2“, sagt Jan Isenbart, Sprecher des Werbezeitenvermarkters IP-Deutschland. Auf der einen Seite ist beispielweise ein pinkelnder Hund zu sehen, auf der anderen Seite ein Anti-Geruch-Spray, das den vermeintlichen Gestank einfach wegsprüht.

Eine Viertel Milliarde Euro wurde vergangenes Jahr in Deutschland in Sonderwerbeformen wie Sponsoring und Produkt-Placement investiert, von einer Werbeflaute spricht hier keiner. Werber wissen: Programmintegrierte Werbung ist emotionaler, glaubwürdiger und wird vom Zuschauer intensiver wahrgenommen. Der Serienheld oder Moderator strahlt positiv auf das Produkt oder die Dienstleistung aus.

Raus aus der Werbeinsel

Aber auch für die Sender bergen Sonderwerbeformen Vorteile, die Matthias Alefeld, Geschäftsführer der Agentur MA Media, erklärt: „Die Fernsehsender versuchen, die Kosten zu minimieren und Gewinne zu maximieren. Dadurch rücken Werbungtreibende immer näher ans redaktionelle Programm." Alefeld sagt, dass es programmintegrierte Werbung im fiktionalen und redaktionellen Umfeld gebe. „Die Daily Soaps entstanden, weil Werbungtreibende ein Programmumfeld bevorzugen, das optimale Kaufanreize für ihre Produkte liefert.“

Die extremste Form von Sonderwerbung ist jene, wenn Werbekunden den Sendern gleich das fertige Programm frei Haus liefern. Der Sender spart sich so die Produktionskosten, der Werbekunde bekommt im Gegenzug unentgeltlich Werbezeiten, oder seine Produkte halten Einzug ins Programm. „Gerade haben wir den Viagra-Werbespot mit Pelé in einem Boulevardmagazin redaktionell platziert“, sagt Alefeld.

Redaktionell gelangen Werbekunden auch über Events und Prominente in die Boulevardmagazine. „Taff“, „Blitz“ & Co. berichten in „Making of…"-Jingles über aktuelle Filme, Werbespots und Produkte. Wenn Boris Becker eine bestimmte Automarke fährt, interessiert das seine Fans. „Die Sender berichten gerne über ein neues Automodell und attraktive Urlaubsziele, vor allem, wenn der Beitrag umsonst ist“, sagt Alefeld. „Die Kunst ist, die Werbung spielerisch ins Programm zu integrieren.“

Schleichwerbung ist laut Rundfunkstaatsvertrag tabu, Werbungtreibende dürfen das Programm weder inhaltlich noch redaktionell beeinflussen. Theoretisch. „Zulässig ist jedoch die Erwähnung oder Darstellung von Produkten, wenn und soweit dies aus journalistischen oder künstlerischen Gründen zwingend erforderlich ist“, sagt ZDF-Sprecher Walter Kehr. „Bei Filmproduktionen ist die Darstellung von Produkten häufig nicht zu vermeiden.“ Und gerade Kehrs Sender weiß die Grauzone bei seiner Flaggschiff- Show zu nutzen. Bei der Sommer-Ausgabe von „Wetten, dass…?“, die diesmal im Euro-Disney in Paris stattfand, ließ sich das ZDF von gleich mehreren Partnern aus der Werbung unterstützen, unter anderem vom Energieversorger RWE. Sonst hätte das ZDF die 1,4 Millionen Euro teure Sendung gar nicht finanzieren können.

Die Landesmedienanstalten, die den privaten Rundfunk beaufsichtigen, sind meist machtlos: Zwar können sie Verstöße gegen das Schleichwerbeverbot mit Geldbußen von bis zu 500 000 Euro ahnden. Im Einzelfall ist jedoch kaum nachzuweisen, dass die Werbung absichtlich gegen Entgelt oder ähnliche Gegenleistungen erfolgt und den TV-Zuschauer hinsichtlich ihres Werbecharakters irreführt. „Die Grauzone wird insbesondere im Bereich der Livesendungen und Reality-Formate oft erreicht, wenn nicht sogar überschritten“, sagt Murad Erdemir, Justiziar der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk. „Insoweit werden die Landesmedienanstalten wohl auch in absehbarer Zeit im Bereich der Schleichwerbung nur an der Spitze des Eisbergs kratzen können.“

Wie mündig ist der Zuschauer?

Scheinbar versehentlich erwähnte Waren- und Markenhinweise gehören zum Standardrepertoire vieler Talkshows, der Moderator entschuldigt sich obligatorisch mit der Bemerkung: „Ups, durfte ich das jetzt sagen, oder war das schon Schleichwerbung?“ Selbst eklatante Beispiele für Schleichwerbung bleiben folgenlos, die Fernsehsender versuchen, die Programmverantwortung bei Werbeverstößen auf die Produktionsgesellschaften abzuschieben. Mancher Programmverantwortliche wünscht sich mehr Transparenz bei den Werbekooperationen, der Grauzonebereich wirkt nicht gerade vertrauensfördernd. Die Sender riskieren ihre Glaubwürdigkeit – für eine Handvoll Euro.

Die Werbezeitenvermarkter würden eine umfassende Deregulierung des Werberechts bevorzugen, der Bundesrat will den Privatsendern künftig mehr Flexibilität und mehr Werbevolumen zubilligen. „Die zurzeit geltenden Regeln bilden ein enges Korsett, das die zuschauerfreundliche Platzierung von Werbung oftmals eher verhindert, denn ermöglicht“, sagt Werbeprofi Isenbart. Dass man nicht mehr unterscheiden könne zwischen redaktionellem Beitrag und Werbung, glaubt er nicht. „Wir haben mündige Zuschauer, die im Fernsehen, wie in jedem anderen Medium, sehr wohl selbst entscheiden können, welche Werbeformen sie ansprechen und welche nicht.“

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