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Medien: „Was vor mir kriecht, kann ich nicht leiden“

Wer Buchkritikerin Elke Heidenreich beeindrucken will, macht seinen Job, sonst nichts. Ein Gespräch

Frau Heidenreich, warum ist der Freitag besser für „Lesen!“ als der Dienstag?

Der neue Termin ist nicht auf meinem Mist gewachsen, den hat sich das ZDF überlegt. Ob er der bessere ist, das muss sich erst noch zeigen. Wenn ich merke, dass die Zuschauer nicht mitziehen, dann würde ich darauf drängen, dass der Termin geändert wird. Gucken wir mal.

Sind Sie gar nicht skeptisch?

Im WDR habe ich lange Jahre immer freitags Literaturkritik gemacht. Und da haben wir gelernt, dass die Leute am Sonnabend in die Buchläden gegangen sind, um sich die Bücher vom Freitag zu holen.

Jährlich erscheinen Zehntausende von Büchern. Finden Sie da überhaupt durch?

Ich beschäftige mich ja nicht seit gestern mit Literatur. Ich mache es wie alle Leute. Ich warte, bis die Frühjahrs- oder die Herbstkataloge kommen. Man kennt ja seine Pappenheimer und weiß, wo man gucken muss. Dann kennt man Autoren, von denen man weiß, dass deren Bücher immer toll sind, John Updike zum Beispiel oder Philip Roth. Ich hangele mich entlang, so wie es jeder tun würde. Dann bestelle ich die Bücher und fange an zu lesen. So einfach ist das. Und wenn die Konfrontation zwischen Buch und mir gelingt, dann empfehle ich es weiter.

Haben Sie alle Bücher, die Sie vorstellen, selbst und ganz gelesen?

Was glauben Sie denn, von der ersten bis zur letzten Seite. Das geht doch gar nicht anders. Meine Glaubwürdigkeit ist mein größtes Kapital, und ich wäre doch mehr als dämlich, wenn ich das aufs Spiel setzen würde. Außerdem macht mir das Lesen Spaß, es ist mein Beruf.

Was zieht mehr: Die Bücher oder die Heidenreich?

Die Bücher. Das Schöne ist allerdings, dass mir die Leute glauben. Wenn ich sie öfter als vier oder fünf Mal mit meinen Tipps enttäuschen würde, wäre der Ruf schnell ruiniert, und keiner würde mir mehr folgen. Aber so weit ist es nicht.

Wird Ihnen nicht manchmal angst und bange?

Nein, nie. Es ist doch herrlich, wenn man Erfolg hat. Wovor sollte ich Angst haben, vor was?

Vor den Hunderten von Buchhändlern, die jeden Tag unter Ihrer Tür hindurchkriechen wollen, um Ihnen die Füße zu küssen.

Alles, was vor mir kriecht, kann ich schon mal gar nicht leiden. Aber sie tun das auch gar nicht, weil sie wissen, wie renitent ich bin.

Aber die Verleger, die liegen winselnd bei Ihnen vor der Tür.

Auch nicht. Ich habe einmal vor Verlegern eine Rede gehalten und gesagt, dass sie mir nichts schicken sollen, keine Weinkisten, keine Präsente, keine Manuskripte. Sie sollten ihre Arbeit machen, ich würde meine machen. Seitdem ist Ruhe.

Keine Ausnahmen?

Doch, einige wenige. Nicolaus Hansen hat mir zum Beispiel einen flammenden Brief geschickt und mir das Buch von John Griesemer, „Rausch“, empfohlen. Ich hab’s gelesen, fand’s klasse und hab’s empfohlen. Manchmal übersehe ich ja auch etwas, und das war so ein Fall. Aber das ist wirklich die große Ausnahme.

Jetzt werden Sie wahrscheinlich Millionen flammender Briefe bekommen.

Die bekomme ich sowieso. Gott sei Dank habe ich eine wunderbare Sekretärin, die entscheidet, was zu mir durchkommt und was nicht. Und wenn es etwas Nettes ist, dann landet es auf meinem Schreibtisch. Sie schickt auch all die Pakete, die ich trotz allem hin und wieder kriege, postwendend zurück. Genauso wie jedes Manuskript, das mir geschickt wird. Man glaubt es ja gar nicht: ganz Deutschland schreibt. Und wie. Jede Hausfrau schreibt über ihr Kätzchen oder ihr Leben mit ihrer Tochter, jeder Mann schreibt über seinen Vater und den Zweiten Weltkrieg, alle schreiben und alle schicken alles an Frau Heidenreich.

Sie lesen keine Manuskripte?

Nein, niemals. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel da kommt. Gerade heute wieder drei. Grauenvoll. Und dann steht da auch noch immer „persönlich“ auf den Paketen. Dann weiß ich, da kommt wieder was mit Katze.

Die Zuschauerzahlen von „Lesen!“ schwanken relativ stark. Haben Sie eine Ahnung, woran das liegen könnte?

Keine Ahnung. Erzählen Sie mal.

Die Zahlen schwanken zwischen 1,3 und 1,9 Millionen Zuschauern.

Ehrlich gesagt ist mir das vollkommen wurscht. Da soll sich das ZDF drum kümmern, die gucken doch auf die Quoten.

Kann das Fernsehen mehr als die Zeitung?

Fernsehen ist anders. Schneller zum Beispiel. Da muss spontan formuliert werden. Ich ärgere mich immer wieder, wenn ich ähnliche Formulierungen verwende, die dann zu allem Überfluss auch noch auf irgendwelchen Buchdeckeln auftauchen. Die Feuilletonisten können schön formulieren. Darum beneide ich die Kollegen manchmal. Anderseits habe ich im Fernsehen nicht viel Zeit, den Leuten ein Buch schmackhaft zu machen. Da muss eingängig formuliert werden, sonst hat das alles keinen Sinn.

Ist „Lesen“ so, wie Sie es machen, perfekt?

Es funktioniert, so viel kann man auf jeden Fall sagen. Ein Mensch, ein Stuhl, ein Buch, das war die Idee von Marita Hübinger, meiner Redakteurin beim ZDF, und mir. Kein Getue. Ich muss nicht mit dem Jaguar in die Tiefgarage fahren oder ins Meer fallen, denn ob das viel mit Literatur zu tun hat, das könnte man sich fragen. Ich wollte einfach auf einem Stuhl sitzen und über Bücher reden.

Wie steht es eigentlich um die deutsche Gegenwartsliteratur?

Nicht wirklich gut. Es erscheint viel zu viel und leider nichts Packendes. Wenn wir einen hätten wie Colum McCann, dessen Buch „Zoli“ gerade erschienen ist, dann wäre ich glücklich. Großartig fand ich „Tannöd“ von Andrea Maria Schenkel, einer Hausfrau aus der Oberpfalz. Ein Krimi, ein schmales Bändchen – ein großer Wurf. Zack, bum, 100 Punkte.

Was machen Sie mit all den Büchern, die bei Ihnen bis unters Dach reichen müssen?

Viele gebe ich weiter, manche sind mir so lieb, die lasse ich im Regal. Eines habe ich mir allerdings geschworen: keine Bücher ins Bad. Ich muss allerdings zugeben, dass da gerade ein Buch rumliegt. Thema: Abnehmen. Aber das kommt da bald wieder weg. Wissen Sie was, ich nehm’s gleich raus. Tschüss.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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