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Medien: Weniger reden, mehr spielen

Noch nie hat das Fernsehen den Fußball so breit gewalzt wie bei der EM. Wie wird es erst bei der WM 2006?

Für die Fernsehleute ist die EM in Portugal nicht ganz so toll gelaufen. Obwohl die Voraussetzungen gut waren. Viel Sonne, schöne Strände, nette Menschen, Hunderte von Redakteuren und Mitarbeitern vor Ort, tolle Experten. Dann auch noch erstklassige Spiele. England gegen Frankreich, Holland gegen Tschechien, Portugal gegen England – eine „Traumquote“ jagte die nächste. Gegenüber der EM 2000 ist die Durchschnittsquote von 7,54 Millionen Zuschauer auf jetzt 11,05 Millionen gestiegen. Der Höhepunkt: 24 Millionen Zuschauer sahen das Scheitern der Deutschen gegen die Tschechen.

Nur: Deutschland ist jetzt draußen. Portugal gegen England, das wohl spannendste Spiel der letzten zehn Jahre, sahen noch 13 Millionen. ARD und ZDF beeilten sich, gleich zu versichern: Wir bleiben in Portugal, klar. „Das Interesse bei Spielen ohne Deutschland ist sehr hoch“, sagt ARD-Teamchef Heribert Faßbender. Deshalb rechne man nicht mit einem Einbruch bei den Quoten. ZDF-Vizesportchef Dieter Gruschwitz kündigte an, dass das ZDF sein Team verkleinere. Genaueres sagt er nicht.

Bis zum Endspiel-Sonntag am 4. Juli sind Dutzende von EM-Sendestunden eingeplant. Stunden, die gefüllt werden müssen. Ohne Deutschland, ohne Spieler-Quartier, ohne Übertragung der Pressekonferenzen, ohne Skibbe-Interviews, ohne die Experten Waldemar Hartmann und Marco Bode.

Dafür weiter mit den vier TV-Kommentatoren von ARD und ZDF. Über die Leistung von Kerner/Réthy/Simon/Beckmann bei dieser EM ist schon vieles gesagt worden. Wer auch in der Zeitlupe ein klares Foulspiel nicht erkennt, muss eigentlich nicht immer gehört werden. Wenn ein Spieler am Boden liegt, „liegt ein Spieler am Boden“. Wenn der Ball im Aus ist, „ist der Ball im Aus“. Wenn Deutschland führt, ist alles „klasse“. Wenn Deutschland hinten liegt, ist der deutsche Fußball „in der Krise“. Das geht alles immer ein bisschen schnell, das ist alles immer ein bisschen durchsichtig-momentan, stimmungsabhängig, wenig analytisch. Kein Wunder, dass die Großbild-Leinwände boomen. Da gibt es meistens gar keinen Ton. Deutschland braucht nicht nur bessere Fußballer, Deutschland braucht manchmal auch bessere Kommentatoren. Und wenn es aus dieser EM noch eine Lehre für die TV-Macher – und die WM 2006 – geben sollte, dann die: Reduzierung auf die Live-Übertragung. Fußball pur. Wie die „Sportschau“. Weniger Drumrum-Gerede, weniger Ex-Fußballprofis, die ja nicht immer gleich verkappte Grimme- Preisträger sind.

Auch wenn die ARD behauptet, dass die Zuschauer sich immer mehr für die Hintergründe der Spiele interessieren und Monica Lierhaus mit ihrem Nachmittags-Talk einen ganz guten Job gemacht hat (Netzer/Delling sowieso) – nichts scheint so sehr geeigten, TV-Süchtige zu heilen, wie das Begleitprogramm dieser EM. Ausnahme: Thomas Helmer. Der DSF-Mann hat – verglichen mit seinen schüchternen Einsätzen bei der WM 2002 für Sat1 – auch im Angesicht von Ex-Kollegen und erfahrenen TV-Leuten nicht gleich auf sein Recht auf Widerspruch verzichtet. „Ich hatte diesmal viel mehr Freiheiten.“ Fragt sich nur, warum die der wortgewandte Marco Bode bei Waldi Hartmann nicht hatte. Hallo, ARD? Hartmann hätte sich öfters auch selber interviewen können. Und jetzt ist es aus, ohne Deutschland. Wir werden nie erfahren, was der Chefkoch der deutschen Mannschaft zum Finale geplant hatte.

Dafür müssen sie jetzt in den EM-Studios noch mehr ran, noch mehr reden, Zeit schinden bis zum Spiel: Delling mit Netzer, Poschmann mit Beckenbauer, Steinbrecher mit dem Schiedsrichter Eugen Strigel. Wahrscheinlich wird das EM- Fernsehen jetzt noch komischer. Comedy statt Hartmann. Oder „Mittagsschlaf mit Delling“. ZDF-Teamchef Dieter Gruschwitz verspricht: „Wir werden unsere Sendezeiten erfüllen. Natürlich werden sich die Schwerpunkte verschieben.“ Ein Großteil der Berichterstattung soll von Deutschland aus übernommen werden. Das große, neue Thema: der Völler-Nachfolger. Das sei eine neue Thematik, die kaum jemand erwartet hatte. Man wolle das gebührend aufarbeiten. Deutschland nicht im Halbfinale? Was macht das schon. Dafür hoffentlich 2006. Dann soll es mit „multikulturellen Aspekten“ und vielen Pressekonferenzen noch mehr Fernseh-Beiwerk geben, sagt die ARD.

Auf das Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei diesem Turnier hat das ZDF gleich reagiert. Eigentlich wollte Michael Steinbrecher heute schon um 17 Uhr 55 auf Sendung gehen. Vor Schweden gegen Holland macht das aber wenig Sinn. So schön ist kein EM-Studio. Auch nicht über den Dächern von Lissabon.

Fußball-EM, ZDF, ab 19 Uhr 25

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