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Medien: Wer ist der wahre Saarländer?

Am Sonntag löst Max Palu einen seiner letzten „Tatort“-Fälle. Er ist angeblich nicht landestypisch genug

Von Barbara Nolte

Jochen Senf sitzt in einem Café am Stuttgarter Platz, wo er wohnt und wo Berlin ein bisschen ist wie der St. Johanner Markt. Der St. Johanner Markt ist der zentrale Platz von Saarbrücken, über den Senf als Kommissar Max Palu mindestens einmal pro „Tatort“-Folge schlendert. Sie haben ihn dann immer schön dekoriert mit Gemüseständen und nachmittäglichen Café-au-Lait-Trinkern, wie sie auch auf dem Stuttgarter Platz ihre Gesichter in die Sonne halten.

Doch im „Dollinger“ stehen die Gartenstühle längst im Keller. Senf sitzt drinnen. Es ist kalt. Er ist nicht gut gelaunt. Nein, sagt er, die Figur des Max Palu habe nicht der Drehbuchautor Felix Huby erfunden, auch wenn das in einer Zeitung so gestanden habe. „Es stimmt nicht alles, was Zeitungen schreiben.“ Er selbst hat sich die Figur ausgedacht, zusammen mit dem ehemaligen Fernsehspielredakteur des Saarländischen Rundfunks Michael Beckert, dem Regisseur Hans-Christoph Blumenberg. Und mit Huby, dem auch. Palu ist für Senf mehr als eine Rolle. Er ist ein Lebensgefährte, vielleicht sogar ein Alter Ego. Und für den Gefährten muss er jetzt kämpfen. „Da ist eine Redakteurin, die schafft Fakten, schreiben Sie das ruhig auf“, sagt er, „die zwingt mich, hier Stellung zu nehmen“.

Es begann mit einem Anruf Mitte August. Inge Plettenberg, seit Sommer verantwortlich für den „Tatort“ beim Saarländischen Rundfunk, soll Senf angekündigt haben, Palu, der übrigens der mit 16 Dienstjahren der älteste „Tatort“-Kommissar ist, absetzen zu wollen. Sie entwickele eine neue Figur. Das schreibt die „Saarbrücker Zeitung“. „Das stimmt so nicht“, sagt der Pressesprecher des SR, Rolf-Dieter Ganz. Nach dem Anruf, so die „Süddeutsche“, habe Senf erst einmal lange nichts vom Sender gehört. Als er im September nach Elba reiste, wusste er immer noch nicht, wie es mit Palu weitergeht. „Was die ,Süddeutsche’ schreibt, kann nicht sein“, sagt Ganz, „das passt nicht zur Mentalität der Saarländer“. Ganz hat den Job, viele undichte Löcher im SR, mit Pauschaldementis zu stopfen. Die Informationen, die nach draußen gedrungen waren, hatten den beschaulichen Halberg erschüttert, auf dem der Winz- Sender seinen Sitz hat. Der größte Aufreger: Inge Plettenberg soll Senf erklärt haben, eine „saarlandspezifische“ Figur entwickeln zu wollen. Jochen Senf hält seine Apfelschorle in der Hand wie ein Molotow-Cocktail und sagt: „Aber saarlandspezifischer als Palu geht’s doch gar nicht!“

Palu wird manchmal mit Salü begrüßt, das reimt sich auch noch. Er ist nie verlegen um einen Scherz auf Französisch. Und wochenends trägt er ein Baguette unterm Arm wie die US-Kollegen ihre Schnellfeuer-Gewehre. Die Figur erscheint schon ein wenig stilisiert. Saarländer essen öfter Körnerbrot als Baguette, wendet man ein, was Senfs Laune nicht besser macht. „Dass ich nicht lache! Schauen Sie sich doch an, was die Menschen auf dem St. Johanner Markt in ihren Tüten tragen! Ich kann die Scham der Saarländer nicht verstehen, grenznah zu sein.“

Palu passt perfekt ins alte Lafontaine-Land. Links, aber lebensfroh, womit wir wieder beim St. Johanner Markt wären. Als Geschenk an die Saarbrücker hat Lafontaine den Platz zur Fußgänger-Zone umbauen lassen. „Lafontaine ist gar nicht links“, bügelt Senf den Vergleich ab, „der ist konservativ in seiner Grundstruktur“. Palu sei dagegen „erzliberal“.

Der Streit um Palu ist in Wahrheit ein Streit um das Bild des Saarländers. Senf hat zurzeit den Alleinvertretungsanspruch. Saarländer sind im deutschen Fernsehen fast ausgestorben. Außer Palu gibt es noch „Die Familie Heinz Becker“ mit dem Kabarettisten Gerd Dudenhöfer. „Der Heinz Becker ist nicht typisch“, sagt Senf, „der ist geizig. Die Saarländer sind im Gegenteil sehr großzügig.“

Heinz Beckers Frau und auch sein Sohn sind beim „Tatort“ beschäftigt: Alice Hoffmann spielt Senfs Sekretärin, Gregor Weber den Assistenten. Dudenhöfer selbst übt zurzeit für ein Einzelprogramm. Er hält die Suche nach einem typischen saarländischen Kommissar für den falschen Weg. Selbst seine Bühnenfigur sei kein Saarländer, sagt Dudenhöfer, sondern ein Deutscher, der saarländisch spricht. „Für einen guten Film ist es wichtig, dass die Geschichte spannend sei.“ Die Suche nach dem typisch Saarländischen, mache einen Film oft zu „lieb“.

Nun würde man gerne die Meinung von Inge Plettenberg hören, die ja den neuen Saarländer erschaffen wird. Man hat sie auch am Telefon, doch will sie nichts sagen. Sie will sogar das Zitat, dass sie nichts sagen will, mit ihr abgestimmt wissen. Aus einer undichten Stelle, die sicher nicht zu Plettenbergs Freunden gezählt werden kann, sickert, dass sie eine alte Marxistin sei. Deshalb lehne sie Palu ab. „Mit dem ist keine Revolution zu machen. Viel zu bourgeois ist der dafür.“

Plettenberg ist in diesen Tagen nicht zu beneiden. Da ist nicht nur ein Land in einen Selbstfindungsstreit geraten. Die Fernsehspielabteilung, die sie geerbt hat und früher einmal renommierte Regisseure wie Fassbinder förderte, ist im Verschwinden begriffen. Sie produziert nur noch diesen einen „Tatort“ im Jahr. Plettenberg betreut sonst noch unter anderem die regionale Reihe „Sellemols“. Sie gilt als profilierte Dokumentaristin. Natürlich hat sie alles Recht der Welt, einen neuen Kommissar zu erfinden. Nur: Was ist, wenn der Neue schlechte Quoten hat? Was, wenn die ARD dem SR den „Tatort“ dann nicht mehr bezahlt? Dann ist nur noch „Sellemols“.

Am Sonntag läuft eine neue Folge des Saar-„Tatortes“, Palus vorletzte. Nächstes Jahr soll es noch eine geben, das ist der vorläufige Kompromiss.

Und wieder haben sie die schönsten Orte des Saarlandes ausgesucht, an denen Palu vorbeiradelt; sogar Ministerpräsident Müller spielt eine Statistenrolle. Wieder begrüßt Palu den Wirt des Lokals jenseits der Grenze auf Französisch, dabei hat es längst ein saarländischer Fleischfabrikant aufgekauft. Die Geschichte entspringt allerdings nicht der saarländischen Region, sondern eher einem Albtraum von Frauenrechtlerinnen: Ein Schönheitschirurg setzt Patientinnen lecke Brustimplantate ein – als Sanktion, wenn sie ihn als Geliebten verstoßen haben. Eine Ex-Kollegin fotografiert die Frauen während der Operation und macht aus den Fotos expressionistische Bilder, die der Saarlouiser Galerist Alain für einen großen Wurf hält. Es ist alles ein bisschen abstrus, die Besetzung aber vom Feinsten: Jessica Schwarz spielt mit, Sky Dumont und Christian Berkel, der gerade im „Untergang“ brilliert. Auch Senf ist als Palu wieder sehr sympathisch. Oder soll man sagen: saarländisch?

Senf weiß: Auf diesen „Tatort“ kommt es an. Ist die Quote gut, werden sie ihn nicht los. Dann frisst die Revolution die Frau Plettenberg. Senf hat zusammen mit Hans-Christoph Blumenberg das Drehbuch zur Folge geschrieben. Er hat das Schicksal seines Gefährten in der Hand.

„Teufel im Leib“: Sonntag, 20 Uhr 15

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