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Medien: „Wer ist diese Frau eigentlich?“

Was die ausländischen Deutschland-Korrespondenten an einer Kanzlerin Angela Merkel interessiert

Mitte November soll es so weit sein: Sobald die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sind, soll Angela Merkel zur Bundeskanzlerin gewählt werden. Ein Vorgang, der weltweit interessiert. Wie sehen nun die in Berlin arbeitenden rund 500 ausländischen Korrespondenten, die über deutsche Politik berichten, die neue Kanzlerin Merkel und welche Themen werden sie in Zukunft beschäftigen?

In der spanischen Presse hat die Nachricht einer Kanzlerin prompt eine Polemik ausgelöst, erzählt José Comas von der spanischen Zeitung „El País“. Für ihn stellte sich die Frage, ob er nun weiterhin „canciller“ (Kanzler) oder neuerdings „cancillera“ schreiben sollte. Im Spanischen bedeute „cancillera“: „Abwasserkanal am Rande eines Ackers“. „Ich glaube, das käme einer Beleidigung Frau Merkels gleich“, entschied Comas und nimmt jetzt die unverfänglichere männliche Variante mit weiblichem Artikel: „la canciller“.

Vor solch einer kniffligen Aufgabe stehen andere ausländische Journalisten zwar nicht, doch auch für sie stellt sich die Frage, ob die „spanische Prophezeiung“ einer „cancillera“ eintritt: Wird die neue Kanzlerin mit einer starken SPD und angesichts des Geltungsdrangs ihrer männlichen Minister, nicht zuletzt aus der CSU, am Rande des Ackers agieren?

Viele betonen zunächst einmal Merkels starke Persönlichkeit. „Sie weiß, was sie will, und kann ihre Ziele erreichen“, sagt Changhai Rong von der chinesischen Nachrichtenagentur „Xinhua“. Richard Bernstein von der „New York Times“ sieht die Lage für Merkel ebenfalls nicht aussichtslos. Für ihn ist die CDU-Politikerin vielleicht „nicht charismatisch“, habe aber eine „beeindruckende Willenskraft“. Ob sie die Hürden überwindet und ihr Reformprogramm durchsetzen wird, das ist für ihn die spannende Frage.

Laut Andrea Tarquini von der italienischen Zeitung „La Repubblica“ wird Angela Merkel sogar „weibliches Gespür“ mitbringen. Ihre Sachlichkeit sei in schweren Zeiten vielleicht angebrachter als die „Medienwirksamkeit des Rampenlichtes“. Interessant wird für ihn auch, wie die „Frau aus dem Osten“ in Zukunft mit dem „imperialen Russland“ umgehen wird.

„Enttäuscht“ von Angela Merkel ist Luke Harding vom britischen „Guardian“. Ob er in der künftigen Kanzlerin auch die neue Maggie Thatcher Deutschlands sehe, mit der Angela Merkel in der britischen Presse oft verglichen werde? Der „Guardian“ hatte zum 80. Geburtstag von Margaret Thatcher eine Karikatur veröffentlicht, auf der Merkel siegesbewusst aus einer Torte emporsteigt und damit die eiserne Lady versteinern lässt. Das hat Luke Harding gewundert. Angela Merkel hätte zwar auch „Machtinstinkt und Stehvermögen“, aber im Gegensatz zu Thatcher keine „eigenen Visionen“. Er sieht die neue Kanzlerin eher in der Rolle eines John Major: „Viele Parteifeinde und eine schwache Figur, über die man später nur noch Witze machen wird.“ Für einen Fehler hält er Merkels abweisende Haltung gegenüber der ausländischen Presse. Weder er noch seine Kollegen von der BBC hätten während des Wahlkampfes ein Interview mit Frau Merkel bekommen.

Das stört Richard Bernstein von der „New York Times“ dagegen wenig. Er hat sie vor einem Jahr interviewt und fand sie „ziemlich langweilig“, denn sie hatte kaum etwas zu sagen, was „Newswert“ besaß. Letztlich sei sie für die amerikanischen Leser auch nicht von so großem Interesse. Er schätzt den Bekanntheitsgrad Merkels in der Bevölkerung der USA auf ein Prozent.

Anders bei den europäischen Journalisten: Natürlich seien die Briten neugierig auf die neue deutsche Kanzlerin, erklärt Luke Harding vom „Guardian“. Beim französischen „Figaro“ möchte Pierre Bocev sich auf zwei Fragen konzentrieren: „Wer ist diese Frau eigentlich, und welche Reformen wird ihre Regierung durchsetzen, von denen sich die Franzosen inspirieren lassen könnten.“ Ähnlich will Birgit Baumann vom österreichischen „Standard“ vorgehen: Sie möchte Angela Merkel daran messen, wie sie die Sozialversicherungssysteme und den Haushalt sanieren wird. Für Trygve Monsen von der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ wird es interessant sein, wie Angela Merkel die Politik als Frau beeinflussen wird. „24 Jahre nach Norwegen bekommt auch Deutschland endlich eine Kanzlerin!“, war sein erster Gedanke.

Ein Grund für Ahmet Külahci von der „Hürriyet“ zu betonen, dass in diesem Punkt die Türkei viel fortschrittlicher sei als Deutschland. „Wir hatten schon Mitte der Neunziger eine Frau an der Spitze.“ Natürlich sei der angestrebte EU-Beitritt der Türkei das zentrale Thema, welches die Türkei-Ausgabe der „Hürriyet“ – daneben gibt es auch eine Europa-Ausgabe mit Deutschland-Schwerpunkt – in Zukunft beschäftigen werde. Dass Angela Merkel in der „Hürriyet“ nicht unbedingt mit Samthandschuhen angefasst werden wird, ist anzunehmen. Ihr Triumph in der Kanzlerfrage wurde vom türkischen Massenblatt eher mit Missachtung gestraft. Die Nachricht erschien nicht auf der Titelseite, sondern erst auf Seite 21 mit der Bemerkung, sie habe sich die Kanzlerschaft teuer erkaufen müssen. Dass mit Merkel an der Spitze nun doch ein neuer Wind während der EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei wehen könnte, erwartet Külahci nicht. Für so „unklug“ halte er Frau Merkel nicht. Der Journalist glaubt, dass die neue Kanzlerin in einer großen Koalition und eingebunden in EU-Verträge nicht die Machtposition besitzt, in der sie in dieser Frage etwas ausrichten kann. Skeptisch gegenüber Merkels Machteinfluss ist auch Roland van Gessel vom niederländischen „Telegraaf“. „Es wird für Merkel schwer werden, sich durchzusetzen, auf der politischen Bühne und in der CDU.“ Er sieht in ihr im Vergleich zu Gerhard Schröder „kein politisches Schwergewicht“ und prophezeit frühzeitige Neuwahlen.

Pierre Bocev vom „Figaro“ findet es noch zu früh für solche Spekulationen und sieht Merkels „größte Stärke“ darin, „unterschätzt zu werden“. Und auch José Comas von „El País“ wundert sich, „wie es möglich war, dass eine Frau, die Protestantin ist, geschieden war und jahrelang in einer wilden Ehe lebte, so eine Karriere in der CDU machen konnte“.

Eleni Klotsikas

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