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Medien: Wer wirbt denn da?

VORSICHT! WERBUNG Heute lade ich die Tagesspiegel-Leser zu einem kleinen Ratespiel ein.

VORSICHT! WERBUNG

Heute lade ich die Tagesspiegel-Leser zu einem kleinen Ratespiel ein. Ich zitiere Überschriften und Texte aus „Spiegel“-Anzeigen. Und Sie sagen mir bitte im Auswahlverfahren, wer der Absender ist. Zu einer Sportlerin an einer Kletterwand steht diese Headline: „Wenn jeder Schritt zählt, ist Orientierung alles.“ Und weiter: „Auf dem Weg nach oben kommt es auf jeden Schritt an. Je besser die Route auf Ihre persönlichen Möglichkeiten abgestimmt ist, um so weiter können Sie Ihre Ziele stecken. Usw.“ Ist der Absender a) die Sportabteilung von Karstadt, b) die Deutsche Bank, c) Audi Quattro?

Nächste Aufgabe. Ein freier Parkplatz, belegt mit etwa 50 Fragezeichen aus Styropor: „Ganz gleich, wie viele Lösungen Sie gestern gefunden haben, wie viele finden Sie heute?“ Überleitung: „Fragen gibt es überall. Antworten nicht. Entscheidungen zu treffen, ist Ihr Job. Unser Job ist es, Ihnen fundierte Erkenntnisse zu liefern, damit Sie jederzeit die richtigen Entscheidungen treffen. Usw.“ Kommt von Microsoft, b) von der Allianz Lebensversicherung. c) von der Siemens Medizintechnik?

Und noch einmal: Kleiner Junge auf einem Tretauto. Dazu als Überschrift, gemeinsam mit einem Warencode-Streifen: „Länger als 20 Minuten fährt in Deutschland keiner, um einen unserer Märkte zu erreichen.“ Zur Auswahl stehen a) Shell, b) Metro, c) das Land Thüringen. Ist doch ganz einfach? Trotzdem helfe ich Ihnen. Hier die Auflösung: Kletterwand ist b), die Deutsche Bank. Die parkenden Fragezeichen sind a), Microsoft. Der Mini-Schumi fährt für b), also die Metro.

Würde ich die Werbeleiter in den jeweiligen Firmen fragen, warum ihre teuren Spiegel-Anzeigen (50 000 bis 100 000 Euro) so kryptisch sind, bekäme ich diese Antwort: „Sie können unsere Anzeigen nicht wie Nivea- oder Mercedes-Inserate beurteilen. Wir haben eine ganz andere Zielgruppe. Unsere Problematik ist eine andere. Und dementsprechend verfolgen unsere Anzeigen andere Ziele.“

Mag wohl sein. Aber berechtigt das zum aussagelosen Gesülze? Irgendwie erinnern mich diese und viele andere Anzeigen an die wirtschaftliche Situation, in der sich Deutschland zurzeit befindet. Wir sind zum Bisschen-Land geworden. Autobauer ändern ein bisschen das Design. Politiker machen ein bisschen Reformen. Die TV-Sendungen (auch die der Öffentlich-Rechtlichen) werden noch ein bisschen dümmer. Und Unternehmen sagen in ihrer Werbung nach Möglichkeit nur ein bisschen was über sich aus. Am liebsten aber gar nichts. Sie sind in „Spiegel“, „Focus“ oder „Wirtschaftswoche“ präsent. Und das muss reichen. Kann ich gut nachvollziehen. In Deutschland wurde schließlich „Ein bisschen Frieden“ erfunden.

Reinhard Siemes

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