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Alan Rusbridger, 59-jähriger Chefredakteur des „Guardian“.

© REUTERS

Whistleblower: Der „Guardian“ und sein Chefredakteur Alan Rusbridger

Wissen, wer Böse ist: Ein Porträt des Mannes, der sich mit den Geheimdiensten der USA und Großbritanien angelegt hat, Alan Rusbridger.

Wegen seines schulbubenhaften Aussehens, seiner schwarzen Haare und der runden, schwarzen Brille nennen sie ihn „Harry Potter“, und wie der Zauberlehrling kämpft Alan Rusbridger, Chefredakteuer des „Guardian“ seit 1995 gegen das Böse in der Welt. Kaum hat er den größten Triumph seiner journalistischen Karriere hinter sich, die Aufdeckung der „Hack-Affäre“ um Rupert Murdochs „News of the World“ und andere Zeitungen, hat er einen noch größeren Feind im Visier: Die Geheimdienste und Regierungen der USA und Großbritanniens und ihre Versuche, wie er glaubt, eine „totale Überwachungsgesellschaft“ zu schaffen.

Der „Guardian“ und sein 59-jähriger Chef sind für Wikileaks und den amerikanischen „Whistleblower“ Edward Snowden zur Anlaufstelle geworden. „Snowden hat eine rote Flagge gehisst“, sagte Rusbridger und warnte: „In Europa, wo Länder aus ihrer jüngsten Geschichte wissen, was diese Art von Überwachung bedeutet, nimmt man das ernst und hat eine riesige Debatte begonnen. Die Gefahr ist, dass wir in Großbritannien, einem in dieser Hinsicht glücklichen Land, wo wir diese historischen Erfahrungen nicht haben, ein bisschen selbstzufrieden über das sind, was vor sich geht“.

Chefredakteur seit 1995 – das ist für moderne britische Verhältnisse ein ungewöhnlicher Rekord. Trotzdem wird Rusbridger den früheren „Guardian“-Chefredakteur und Zeitungsbesitzer C. P. Scott nie übertreffen, der die Zeitung von 1872 bis 1929 leitete und sie in den C. P. Scott Trust überführte, der heute Besitzer und Geldgeber der Zeitung ist.

Wenige Chefredakteure haben so viel Einfluss

Alan Rusbridger ist ein würdiger Nachfolger. Er ist Chefredakteur, sitzt auch im Aufsichtsgremium des Verlags „Guardian News & Media“. Wenige Chefredakteure haben so viel Einfluss auch auf den wirtschaftlichen Kurs ihrer Zeitung. Brauchen kann Rusbridger diesen Einfluss: Der „Guardian“ machte auch im laufenden Jahr bisher wieder fast 31 Millionen Pfund (knapp 36 Millionen Euro) Verlust, zugleich konnten wachsende Einnahmen im Digitalbereich das Minus um 30 Prozent reduzieren. Der „Guardian“ ist die fünftmeistgelesene Zeitungs-Website der Welt und hat ein ungeheures internationales Renommee, aber die Printausgabe liegt mit einer täglichen Auflage von knapp 200 000 Exemplaren in Großbritannien erst an neunter Stelle. Das Blatt kämpft ums Überleben. Werde Rusbridger, „der stille Evangelist“, als der bedeutendste Chefredakteur in der Geschichte der Zeitung auch der letzte Chef des „Guardian“ sein?, fragte das Wochenmagazin „New Statesman“.

Britische Zeitungen sind „Campaining Newspapers“, setzen sich in öffentlichen Schlachten für konkrete Ziele ein. Die „News of the World“ kämpfte für ein Pädophilenregister, die „Times“ für bessere Fahrradwege, der „Daily Telegraph“ gegen Filz im Parlament. Rusbridgers Kreuzzüge beim „Guardian“ gehen oft bis an die Existenz des Blattes. Gleich nach seiner Übernahme als Chefredakteur attackierte der Guardian den Unterhausabgeordneten Neil Hamilton wegen „Cash for Questions“ im Unterhaus und den Schatzamtsminister Jonathan Aitken wegen seiner Beziehungen zu Saudi-Arabien. Verleumdungsklagen der Politiker hätten dem „Guardian“ mit seiner schwachen Finanzgrundlage das Genick brechen können. Aber Rusbridger zog, als die Sache zur Entscheidung kam, drei Tage fast non-stop durch die TV-Studios und verteidigte die Zeitung offensiv. Auch jetzt intervenierte der „Guardian“-Chef persönlich: Einen Tag nach der Festnahme von David Miranda, Kurier und Lebensgefährte des „Guardian“-Enthüllers Glenn Greenwald, in Heathrow ging Rusbridger in die Offensive – und deckte auf, wie die Regierung selbst die Zerstörung von Festplatten des „Guardian“ verteidigte.

Beim „Guardian“, einer Zeitung mit linken Traditionen, wo Journalisten knapp gehalten werden und hart arbeiten müssen, ist Rusbridger nicht unumstritten – nicht zuletzt wegen seines hohen Gehalts. Nach einem freiwilligen Lohnverzicht betrug es im letzten Jahr einschließlich eines Pensionszuschusses immer noch 470 000 Pfund (550 000 Euro).

Ungewöhnlich sind Rusbridgers breite Interessen. Seine Neugier trieb ihn zu den unterschiedlichsten Themen und Erfahrungen. Er ist Autor der „Kompaktgeschichte des Sexual-Lehrbuchs 1886–1986“, hat Kinderbücher und ein Fernsehspiel geschrieben und im letzten Jahr erschien sein autobiografischer Bericht, wie er, nachdem er das Klavierspielen mit 16 aufgegeben hatte, mitten in der „Hack-Krise“ Chopins höllisch schwierige Ballade Nr. 1 lernte. Eine Fernsehdokumentation darüber hatte den Titel: „Rusbridger vs. Chopin“.

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