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Medien: Widerstandslegende enttarnt

Historiker-Bericht über Bertelsmann in der NS-Zeit

Jahrzehntelang hat sich der Medienkonzern Bertelsmann öffentlich mit der Behauptung geschmückt, er habe während des Dritten Reiches Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet und sei deshalb 1944 vorübergehend geschlossen worden. Auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff hob dies auf Festreden gerne hervor. Tatsache ist jedoch, dass Bertelsmann mit regimekonformer Literatur viel Geld verdient hat und kaum Widerstand gegen das Nazi-Regime geleistet hat. Zu diesem Ergebnis kommt die „Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich“, die am Montag in München ihren Abschlussbericht vorgelegt hat.

Die Kommission hatte im Januar 1999 die Arbeit aufgenommen, nachdem dem Verlag vorgeworfen worden war, seine Geschichte zu beschönigen. „Die Legende, Bertelsmann sei als Widerstandsverlag geschlossen worden, ist nicht aufrechtzuerhalten“, sagte der israelische Historiker Saul Friedländer, Vorsitzender der Kommission. Sie habe ab 1945 lediglich dazu gedient, von den Besatzungsbehörden möglichst bald eine neue Verlagslizenz zu erhalten. Geschlossen worden sei der Verlag 1944 zwar tatsächlich. Der Grund sei jedoch ein Gerichtsverfahren wegen illegaler Beschaffung von Papier gewesen.

Im Laufe ihrer Forschungsarbeit hat die vierköpfige Kommission, zu der die Professoren Norbert Frei, Trutz Rendtorff und Reinhard Wittmann zählen, eine ganze Reihe regimefreundlicher Veröffentlichungen im theologischen und belletristischen Verlagsprogramm von Bertelsmann ausgemacht. Der damalige Verlagschef Heinrich Mohn habe demzufolge „keine Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus gewahrt“. Im Gegenteil habe sich bei Bertelsmann eine politische Theologie herausgebildet, die dem Nationalsozialismus tendenziell zuarbeitete, schreiben die Historiker in ihrem Bericht. Insbesondere die Jugendheftreihe „Spannende Geschichten“ stellte sich nach Erkenntnissen der Kommission in den Dienst der Kriegspropaganda. Darüber hinaus seien Kriegsbücher veröffentlicht worden, in denen antisemitische Stereotypen und Polemik zu finden gewesen seien und die die Militarisierung der Gesellschaft gefördert hätten. Dank unkonventioneller Werbe- und Vertriebsstrategien habe Bertelsmann seine Bücher gerade nach der NS-Machtübernahme mit wachsendem Erfolg verkauft. In der NS-Zeit wurde Bertelsmann mit 19 Millionen Exemplaren zum größten Buchproduzenten für die Wehrmacht und übertrumpfte damit sogar den Zentralverlag der NSDAP. Bertelsmann stellte allein ein Viertel aller Bücher und Broschüren für die Front her.

Mohn selbst charakterisieren die Historiker nicht als Nationalsozialisten. Er habe sich der Bekennenden Kirche angeschlossen, die gegen die NS-Kirchenpolitik opponierte und sei auch nie der NSDAP beigetreten. Er war allerdings „Förderndes Mitglied der SS“. Auch beim Thema Zwangsarbeiter lud Bertelsmann Schuld auf sich. Der Verlag hat während der NS-Zeit nach dem Urteil der Kommission indirekt jüdische Zwangsarbeiter beschäftigt. In mehreren Druckereien im litauischen Wilna, die für Bertelsmann arbeiteten, seien zwischen 1941 und 1943 Juden aus dem örtlichen Getto eingesetzt worden. In Gütersloh waren einige niederländische „Zivilarbeiter“ beschäftigt. Friedländer betonte, dass auf Grund der schlechten Quellenlage nicht geklärt werden könne, ob „Bertelsmann irgendeinen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in diesen Druckereien hatte“. Die niederländischen Arbeitskräfte am Bertelsmann-Hauptsitz Gütersloh seien „weitaus besser behandelt“ worden als Zwangsarbeiter aus Ostdeutschland.

„Ich bedaure, dass wir mit unserem historischen Erbe nicht sorgfältig genug umgegangen sind und dass wir im Zweiten Weltkrieg mit Büchern Geschäfte gemacht haben, die mit den Werten des Medienunternehmens Bertelsmann vollkommen unvereinbar sind“, sagte der Bertelsmann-Vorstandsvorsitzende Gunter Thielen bei der Präsentation der Forschungsergebnisse in München. Er betonte, der Konzern wolle den Bericht der Historischen Kommission als uneingeschränkte offizielle Darstellung der Unternehmensgeschichte akzeptieren. Bertelsmann ist das erste deutsche Medienunternehmen, das seine Archive für die Geschichtswissenschaft geöffnet hat. Nicole Adolph

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