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Medien: Wie Mathias Döpfner Axel Springer sieht

Vielfach wurde der Vorstandschef mit dem Verlagsgründer verglichen. Erstmals äußert er sich selbst zu ihm. Auszüge aus einem Buchbeitrag

Mathias Döpfner, 42, seit 2002 an der Spitze der Axel Springer AG, führt einen Vorstand an, von dem keines der jungen Mitglieder den Verleger persönlich kennen gelernt hat. 20 Jahre nach Springers Tod veröffentlicht der Verlag ein Buch, in dem er sich seiner selbst vergewissert und überprüft, inwieweit sich das überlieferte Bild Axel Springers mit der Realität deckt. Diesem Buch entstammt der folgende Beitrag Döpfners:

Auf Peter Boenischs Beerdigung (…) erzählte mir ein Freund, mit Blick auf (…) Ernst Cramer, den vielleicht treuesten Weggefährten Axel Springers, Boenisch hätte über Cramer gesagt: „Der hat Axel Springer nie so gesehen, wie er war, sondern immer so, wie er ihn sehen wollte.“ Kurz überlegte ich, ob das von Boenisch wohl kritisch oder liebevoll gemeint war, aber noch bevor ich eine Antwort darauf wußte, wurde mir klar: Genauso geht es mir auch. Ich sehe Axel Springer nur so, wie ich ihn sehen will, nie so, wie er war. (…)

Ich weiß gar nicht, nicht im entferntesten, wie Axel Springer war. Ich habe ihn nie kennengelernt. Als Axel Springer starb, im Jahr 1985, schrieb ich Musikkritiken für die FAZ. Axel Springer interessierte mich nicht. Als Verlagshaus nicht, und auch als Person nicht wirklich. Mich interessierte nur „Die Welt“. Die war unser Konkurrent. Und ich hatte das Gefühl, nein die Gewißheit: Wir bei der FAZ sind besser. (…)

Im Jahr 2005 stehe ich als Vorstandsvorsitzender an der Spitze der Axel Springer AG. In dieser Funktion bin ich verantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg dieses Unternehmens. Und der ist bei einem publizistischen Unternehmen (…) ohne geistigen, inhaltlichen Erfolg nicht denkbar. Der Geist bestimmt immer noch das Geld – und nicht umgekehrt.

Und hier setzt meine Bewunderung an, meine verspätete Bewunderung und meine durch die Arbeit induzierte Annäherung. Axel Springer, so sehe ich ihn, war wahrlich kein Intellektueller, aber doch ein Geistesmensch. Er stattete den Idealisten mit den Instrumenten des Pragmatikers aus. Er wollte etwas, und er wollte davon nicht nur träumen, er wollte es auch machen. Was er sich vornahm, war so unbescheiden wie klar: die Welt verbessern.

Die Welt verbessern mit Bild? Ja, sogar das. „Hätte es Bild gegeben, wäre Adolf Hitler nicht gekommen“, hat er einmal gesagt. Unabhängig davon, ob es stimmt, geglaubt hat er es – glaube ich.

Der Nachkriegs-Glücksritter entwickelte sich zum politischen Verantwortungsethiker, der darunter litt, (…) bisweilen wie eine Kraft zu erscheinen, die stets das Gute will und manchmal doch das Böse schafft. Mit mancher Attacke im Kalten Krieg, mit der Eskalation gegen die 68-Bewegung und mit mancher Schlagzeile.

Die Zuspitzungen während der Studenten-Revolte haben dem Verlag geschadet. Die Epigonen des Verlegers beschädigten das Haus durch Übereifer. Schlagzeilen glichen mehr Schlägen als Zeilen. Selbst Kunst- und Musikkritiken lasen sich manchmal so, als seien sie „auf Linie“ gebracht worden. Viele gute Autoren machten das nicht mit – und gingen. Die Intelligenz wurde zur Anti-Springer-Bastion. Nur ein paar ganz wenige wirklich Gute sind geblieben. Die, die verstanden, daß Axel Springers Anhänger sich zwar in den Mitteln, in den Formulierungen vergriffen, in der Sache aber oft einfach recht hatten. Und daß die noch größere Intoleranz auf der anderen Seite gepflegt wurde, gerechtfertigt durch die gute Gesinnung, die vermeintlich ideelle Absicht.

Die Anti-68er-Bewegung hat Axel Springer isoliert, hat eine Bunker- und Barrikaden-Mentalität in den eigenen Reihen erzeugt, auch eine Verbissenheit und Unfröhlichkeit, ein selbst bis heute nicht überall verschwundenes, manchmal irgendwie verdruckstes Selbstbewußtsein. Die Intelligenz war zwanzig Jahre lang links, irgendwie antispringer. Statt eines fröhlichen Antikommunismus, statt der leisen Souveränität des Gewinners, statt einer bürgerlichen Haltung des gelassenen Selbstbewußtseins haben viele Mitarbeiter, vor allem die Intellektuellen unter ihnen, eine Art geistigen Minderwertigkeitskomplex ausgeprägt. Ohne Grund: A la longue nämlich fasziniert die Persönlichkeit Axel Springer eben gerade nicht als tragischer Held (…), sondern er fasziniert und polarisiert, weil er mit seinen Grundprinzipien, mit seinen politischen und gesellschaftspolitischen Zielen auf geradezu bestürzende Weise recht behalten und von der Geschichte recht bekommen hat.

Sein Weltbild ist einfach. Sein gesellschaftspolitisches Wollen ist – wie alle wirklich großen und erfolgreichen Entwürfe – fast simplizistisch. Der Einwand, so einfach sei die Sache nun wirklich nicht, man müsse hier differenzieren, traf und trifft auch ihn. Der Einwand kann ihm egal sein, er ist akademisch. (…)

Wer – wie ich – in der Universität zu Frankfurt noch gelernt hat, daß die „deutsche Frage“ nicht zu stellen sei, und daß, wer sie dennoch stelle, ein „Reaktionär und Präfaschist“ sei, der weiß, daß er damals Unsinn gelernt hat. (...)

Der antitotalitäre Grundkonsens gilt, Deutschland ist wiedervereinigt, Berlin ist Hauptstadt, der Kommunismus ist entzaubert, und der Kapitalismus hat sich trotz Heuschreckendebatte als das geringste Übel erwiesen – Axel Springer hat mehr recht gehabt, mehr durchgesetzt, als in zwei Politikerleben und drei Unternehmerleben normalerweise hineingeht. Zwei Rechnungen aber sind noch offen: die transatlantische Wertegemeinschaft und die Unterstützung des Staates Israel. Um beides steht es schlecht. (…)

Ein europäischer Minderwertigkeitskomplex stimuliert den Neid auf die ordnende Kraft der demokratischen Weltmacht USA. (…) In Wahrheit ist der Antiamerikanismus der Deutschen das Selbsteingeständnis mangelnder Freiheitsfähigkeit. In Wirklichkeit ist der Irrglaube, es gebe einen europäischen Weg gegen Amerika, die größte Gefährdung deutscher Interessen und der demokratischen Weltordnung seit Gründung der Bundesrepublik.

Im gestörten Verhältnis zu Israel artikulieren sich andere, subtilere Derangements der deutschen Seele. Antisemitismus ist seit dem Holocaust nicht mehr gesellschaftsfähig. Mit Antiisraelismus aber kann man noch Staat machen. Er ist die moderne, die „politische korrekte“, die links wie rechts akzeptierte Form, antijüdisch zu sein. (…) Axel Springer spürte das. (…) Er erkannte sehr früh die Notwendigkeit einer christlich-jüdischen, abendländischen Wertegemeinschaft zur Verteidigung der freien westlichen Welt gegen einen aggressiven islamistischen Fundamentalismus, gegen ein intolerantes, kollektivistisches Gesellschaftsmodell. Auch hier war er eben wieder Bauchmensch und Visionär zugleich. Ob dieses Kapitel aber ein ähnlich gutes Ende nehmen wird wie die vorgenannten – das ist eine offene Frage. Hier jedenfalls finden die wirklichen Reibungen an seinem geistigen Erbe in der Gegenwart statt.

(…) Wie wird Axel Springer heute gesehen? Gerecht, angemessen, verzerrt oder verkannt? Ich weiß es nicht. (…)

Axel Springer, das war der Selfmademan und der Playboy, der Lustmensch und Exzessor, das war die Frau im Männerkörper, wie Peter Tamm das in Anspielung auf seine weibliche, emotionale Intelligenz genannt hat. Das war der Unternehmer mit ausgesprochen ausgeprägtem Erwerbssinn, der sich sozial inszenierte und unter der wärmenden Oberfläche des Patriarchen knallhart an der eigenen Gewinnmaximierung bastelte. Das war auch der unsichere Zauderer, Zögerer, der wankelmütige Entscheidungsrevidierer, der noch am Morgen seinen Konzern an Bertelsmann verkauft hatte und am Abend seinen Consigliere Bernhard Servatius losschickte, das Ganze wieder rückgängig zu machen, der an einem Tag „Die Welt“ einstellen wollte und schon die Pressemitteilung zur Entlassung von siebenhundert Mitarbeitern formuliert hatte, um das Vorhaben im letzten Moment dann doch noch zu stoppen. Axel Springer war, wie fast alle Großen, ein Mann der Widersprüche.

Er war ein genialer Verleger mit einem untrüglichen Sinn für erfolgreiche Zeitungen und Zeitschriften. Er war ein Anreger und Erfinder. Und er war eben auch und in der zweiten Lebenshälfte immer mehr ein politischer, nicht übrigens parteipolitischer Mensch – und in dieser Eigenschaft sicher eine der geistig prägendsten deutschen Persönlichkeiten der Nachkriegsjahrzehnte.

Vor allem aber war Axel Springer ein Mann, der seine eigenen Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur in einen Lebensentwurf der Freiheit und in eine alles überlagernde politische Vision der Freiheit verwandelte.

Wenn wir glauben wollen, daß einer so ist wie die Musik, die er hört, dann nur soviel: Während Rudolf Augstein Richard Wagner verehrte, liebte Axel Springer amerikanischen Jazz.

Er, ja er, war ein Liberaler. Und er war klug genug, schließlich die Frau zu finden, die diese Wesenszüge in einem Konzept bewahrte, das über seinen Tod Bestand hat.

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