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Jelinek

© WDR

Wiener Prater: Mensch, Monster, Sensation

Im WDR-Fernsehen kann man sich heute an einen Ort des Spektakels, der Verwandlung und Verzauberung entführen lassen. Ulrike Ottinger und Elfriede Jelinek im Wiener Prater.

„Das Erstaunliche an der Kindheit ist, dass sie nur vergehen kann“, sagt die Schriftstellerin Elfriede Jelinek. Sie hat ihren Kopf durch ein Loch in einer großen Pappwand gesteckt. Nun ist sie die weiße Frau, die King Kong in die Hände fällt. Ein Vergnügungspark ist eine ganz eigene Welt. Es blinkt und glitzert, plärrt und klingelt, der Watschenmann hält beide Wangen hin, die Monster reißen ihre Mäuler auf, Maschinen katapultieren Menschen in die Luft. Ein Ort des Spektakels, der Verwandlung und Verzauberung, an dem die Kindheit für einige Stunden besonders intensiv und deshalb wohl umso vergänglicher erscheint.

Unter den Rummel-Plätzen ist der Wiener Prater etwas Besonderes: ein einstiger Jagdgrund der Höflinge, der vor knapp 250 Jahren dem Volke zur Erholung überlassen wurde. In einer Ecke siedelten sich Wirte und Buden an – die Geburtsstunde des Wurstelpraters, Vorbild für viele andere Vergnügungsparks in der Welt. Es ist heute ein traditionsreicher Ort voller Geschichten und Kuriositäten. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier das berühmte Riesenrad gebaut, man gondelte durch ein Mini-Venedig, erste Filmvorführungen fanden statt, und sogar durch nachgebaute Dörfer, bewohnt von echten Vertretern exotischer Völker, konnte das staunende Publikum schlendern. Kolonialismus als Show.

Auf ihren Reisen („Johanna d’Arc of Mongolia“, „Exil Shanghai“) macht die Künstlerin und Dokumentarfilmerin Ulrike Ottinger an einer Station Halt, an der sich wie unter einem Brennglas verschiedene Welten bündeln: „Prater“ ist eine wundervolle Sammlung von Miniaturen, ein Streifzug durch die Kulturgeschichte und zudem eine eindrucksvolle Montage aus aktuellen Bildern, alten Fotos, Kino filmen, Literatur und Musik. Zu Beginn des Jahres erhielt die 62-Jährige dafür den Preis der deutschen Filmkritik.

Ottinger zitiert auch sich selbst, bedient sich einiger Szenen aus „Freak Orlando“ und lässt Veruschka von Lehndorff, die vor 25 Jahren den „Dorian Gray“ spielte, im Zerrspiegel zerfließen. Die Autorin und Regisseurin hat die Kamera selbst bedient und liefert mal kunstvolle Perspektiven, mal genaue Beobachtungen des Prater-Publikums: stramme Bayern im Trachtenanzug, eine indische Großfamilie, eine Jugendgang, die sich am modernen Watschenmann abarbeitet. Neben wenigen O-Tönen der Nachkommen von Schaustellerfamilien bilden allein literarische Zitate den Kommentar – zum Beispiel von Erich Kästner, Elias Canetti, Josef von Sternberg und Elfriede Jelinek, die den Prater in ihrem Text als eine Art Gegenwelt zum strengen Regiment der Mutter darstellt.

Dagegen feiern Mensch und Maschine hier Versöhnung. „Auch das kleinste Ringelspiel ist ja eine Maschine, in die man sich begibt, und wenn man dabei klein ist, kann man sich vorübergehend groß vorkommen, mit Hilfe der Technik, die einen liebevoll aufnimmt“, liest Jelinek. Ottinger vollzieht den Wandel der Technik nach und findet dafür kleine Geschichten.Einst war die „Reise zum Mond“ eine große Attraktion, heute liegen die Raketen im Raum eines Sammlers. „Die Kinder wollen damit nicht fliegen“, sagt er, „weil es zu langsam ist.“ Thomas Gehringer

„Prater“, 23 Uhr 15, WDR-Fernsehen

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