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Wilfried Mohren: Das zweite Leben

Als MDR-Sportchef hat sich Wilfried Mohren bestechen lassen und dafür „gelitten wie ein Hund“. Nun ist er zurück – als Vereinssprecher

Die Vergangenheit ist inzwischen etwas verwaschen, aber Wilfried Mohren trägt sie noch ganz gerne. Sie wärme gut, sagt er, deshalb steht er jetzt in der dunklen Jacke am Leipziger Hauptbahnhof, einer Jacke mit dem Aufdruck „Boxen im Ersten“.

Geboxt wird immer noch, nur gehört Mohren nicht mehr zum Ersten. Der MDR warf seinen Sportchef und Moderator im Sommer 2005 raus. Sieben Wochen saß er in Untersuchungshaft, 2009 wurde er verurteilt, wegen Bestechlichkeit, zwei Jahre auf Bewährung. Wilfried Mohren sieht nicht so aus, als hätte er sich von diesem Schlag schon erholt.

Manchmal erzählt der 51-Jährige noch so schnell, wie er beim Fußball einen Konter kurz vor Schlusspfiff kommentiert hat. Manchmal schaut er auch an einem vorbei und schweigt, als spielten sich vor ihm Bilder ab, für die er ganz neue Sätze bauen muss. Dann zieht er einen Rahmen um seinen Fall: „Ich habe in weit geringerem Umfang Bockmist gebaut, die Geschichten der Staatsanwaltschaft waren überwiegend konstruiert“, sagt er, „mein wirklich großer Fehler war: Ich wollte zu viel auf einmal, auch anderen helfen. Aber ich habe nicht mehr gesehen, was meine eigentlich Aufgabe als Journalist war.“

Mit dieser Sicht der Dinge will er sich wieder aufrappeln. Im Februar hat er beim Drittliga-Fußballklub Rot-Weiß Erfurt als freiberuflicher Pressesprecher angefangen. Im Videotext fand Mohren diese Nachricht am Abend eingebettet in Neuigkeiten von den prominentesten Klubs aus Italien und die Meldung, dass Felix Magath bei Schalke jetzt einen Fahrer habe. „Was ist denn an mir so wichtig?“

Ein Gestrauchelter kehrt zurück, das ist die Geschichte, einer von der großen Bühne, der bei fünf Fußball-Weltmeisterschaften kommentiert hat. Und einer aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in dem die Tugend doch zu Hause sein soll, gerade weil er mit Gebühren bezahlt wird. Nur, damit diese Geschichte weitergeht, muss er jetzt ein Begriffspaar auseinanderbringen: Mohren und Bereicherung.

Es klebt auch deshalb fest zusammen, weil vor ihm der Sportchef des Hessischen Rundfunks, Jürgen Emig, als bestechlich überführt worden war. Emig verkaufte Sendezeit an Sportveranstalter, die sonst nicht ins Fernsehen gekommen wären und wickelte das über die Agentur seiner Frau ab. Für dieses Geschäftsmodell erhielt Emig eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Sein Handeln sei von viel krimineller Energie geprägt, befand der Richter. Steckt in Mohren kriminelle Energie?

Lange war Mohren einfach Sportreporter, beim WDR im Hörfunk, bei RTL im Fernsehen, in der ARD. Mit seinem Schnurrbart wirkte der Rheinländer gerade am Anfang wie jemand, der den Fußball sehr, sehr ernst nimmt. 1991 kam das Angebot, nach Leipzig zu gehen, Mitteldeutscher Rundfunk, Sportchef. Das Angebot, über ein kleines Reich zu herrschen. Sport bedeutet in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt besonders viel. Im Sport sind sie immer noch Weltklasse.

Mohren weiß, warum er Sportchef geworden ist. Weil sein Gesicht bekannt war. „Die Zweifaltigkeit aus Moderator und Sportchef in einer Person war doch zu meiner Zeit von den Sendern gewünscht.“

Als er Sportchef wird, ist er 33. Auf einmal hat er ein zweistelliges Millionenbudget, er kann entscheiden, was gesendet wird. Den Motorrad Grand Prix auf dem Sachsenring will er zeigen. Produktionskosten: etwa eine halbe Million Euro. Die hat der Sender nicht. Also fliegt Mohren nach Barcelona, um mit den Organisatoren der Weltmeisterschaftsserie zu verhandeln. Wir übernehmen gerne die Produktionskosten, sagen sie ihm, wenn Sie dafür die 15 anderen Rennen zeigen. Auf das Geschäft will sich Mohren einlassen, der MDR auch. Die Reisekosten nach Barcelona haben ihm die Motorradvermarkter bezahlt. Mohren rechnet dennoch die Spesen beim MDR ab, 2500 Euro. Es ist ein Teil dessen, den er Bockmist nennt.

Mit der Brauerei Hasseröder setzt er sich zusammen, sie könne die Regionalsportsendung des MDR sponsern. Sein Ansprechpartner bei der Brauerei wundert sich, als Mohren für den Vertragsabschluss keine Provision erhält – und zahlt ihm selbst eine. Mohren nimmt das Geld an. Er denkt sich nichts dabei. „Ich habe doch das Geschäft eingefädelt, und der MDR hat ebenfalls eine Provision bekommen.“ Genau genommen hätte er sich daher nicht bereichert, sagt er, und was Bereicherung sei, habe er schließlich in seinem Jurastudium gelernt.

Im Fernsehen wird ein Hallenfußballturnier übertragen, der Techem-Cup. Keines von besonderer Güte. „Das Beste, was der Osten hatte“, sagt Mohren. Mit Techem hatte Mohren einen persönlichen Vertrag geschlossen. Für die Staatsanwaltschaft ist der Zusammenhang eindeutig. „Man kann es so sehen wie die Staatsanwaltschaft“, sagt Mohren, „aber nur, wenn man es so sehen will. Die Staatsanwaltschaft hat völlig außer Acht gelassen, ob ich persönlich Einfluss hatte auf das, was gesendet wurde und was nicht.“ Für vieles, was ihm vorgeworfen wurde, habe er Genehmigungen besessen. „Die haben aber offenbar niemanden bei der Beurteilung meines Falles interessiert.“

Mohren hatte sich längst verheddert im Netz aus persönlichen Kontakten und kann nicht mehr unterscheiden, wem er eigentlich verantwortlich ist. Ein Vertrag für den MDR hier, eine Moderation für eine Firma dort. In seinen 14 Jahren beim MDR bekam er mindestens 330 000 Euro über private Verträge. Sein Jahresgehalt beim MDR betrug etwa 100 000 Euro. „Ich bin aus der Situation heraus zum Kaufmann geworden. Alles, was mit Sport zu tun hatte, strahlte mich an“, sagt er. Auch mit Emig hat er ein Geschäft abgewickelt. Ein Tanzturnier lief über den Sender, das sonst nicht gelaufen wäre. „Nur da habe ich das Gefühl gehabt, etwas Unsauberes zu tun.“ Emig habe er einen Gefallen tun wollen. „Ich habe darauf gehofft, dass er mir als jungem Kollegen Gehör verschafft. Heute wünschte ich mir, ich wäre Emig beizeiten aus dem Weg gegangen.“

Im Konkurrenzkampf der ARD-Anstalten wollte Mohren nicht als Verlierer dastehen. „Ich habe dem Sender und Vereinen geholfen. Denn wenn die Vereine hier ausbluten, ist irgendwann Feierabend für alle.“ Einer, der ihn und den Sender bestens kennt, sagt: „Mohren war naiv, und anders als Emig ist er eher hineingeschlittert. Es kann sein, dass er helfen wollte. Aber er hat auch sich selbst geholfen.“

Das System bringt Verantwortliche wie einen Sportchef ständig in Versuchung. Automobilfirmen stellen kostenlos Wagen zur Verfügung, manchmal sogar für die Ehefrau. ARD-Anstalten versuchen anderen Sendern Beiträge unterzujubeln, die oft nicht prüfen, ob darin vielleicht ein Firmenlogo zu viel auftaucht. Es ist ein Markt aus Gefallen und Gefälligkeiten.

Sponsoren bieten Moderationen an und zahlen dafür fünfstellige Summen. Das hat sich nicht geändert. „Ich sehe einige dieser Leute immer noch im Fernsehen bei dieser oder jener Gala Sekt schlürfen, als ob nichts gewesen wäre“, sagt Mohren. Moderation und Redaktionsleitung haben manche öffentlich-rechtliche Anstalten immerhin inzwischen getrennt. Und oben angefangen, beim ARD-Sportkoordinator. Dort hatte früher Hagen Boßdorf nichts dabei gefunden, über das Radsportteam der Telekom zu berichten und im Auftrag der Telekom Veranstaltungen zu moderieren. Der neue Sportkoordinator heißt Axel Balkausky. Sein Gesicht ist selten im Fernsehen aufgetaucht.

Mohren dagegen sucht nun die Öffentlichkeit. „Ich habe viereinhalb Jahre auf meinen Prozess gewartet, wie ein Hund gelitten und vor mich hingedämmert. Erst am Freitag ab 15 Uhr wurde die Stimmung besser, weil die Leute von der Arbeit kamen und ich wieder ein bisschen war wie sie.“ Mohren, verheiratet und Vater von zwei Kindern, hat zwischendurch als Moderator auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet und kleine PR-Aufträge angenommen, um sein Leben zu finanzieren. Außerdem musste er dem MDR 380 000 Euro zurückzahlen.

Jetzt will er Antworten haben: „Wie erledigt bist du eigentlich? Wer widersteht dem Mainstream bei der Beurteilung meiner Person? Und wer gibt mir eine zweite Chance?“ Als er in Erfurt anfing, hat er den Menschen anders in die Augen gesehen als früher, er hat gesucht nach Anzeichen von Misstrauen oder Zustimmung. Ein wenig Hoffnung hat er, dass der Fußball über alles schnell hinwegrollt. Aus der ersten und zweiten Bundesliga habe er aufmunternde Nachrichten dafür bekommen, dass er wieder da ist. Mit seinem Posten als Klubsprecher falle es den Leuten nun leichter, auf ihn zuzugehen, vermutet er.

Mohren möchte die Öffentlichkeit wieder an sich gewöhnen, beweisen, dass er aus allem gelernt hat. Auch für den Fall, dass er vielleicht bei einem privaten Sender noch einmal kommentieren darf, „dann würde ich juchzen und jubeln“, sagt er und zieht nach dem Gespräch wieder seine Jacke an auf der „Boxen im Ersten“ steht und daneben „Hasseröder“.

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