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Medien: „Wir setzen noch Freude am Lesen voraus“

Peter-Matthias Gaede über 30 Jahre „Geo“, Verhaltensauffälligkeiten seiner Redaktion und den Mangel an guten Autoren

Seit 30 Jahren gibt es „Geo“. Sie arbeiten seit bald 23 Jahren für das Magazin, davon mehr als zwölf als Chefredakteur. Sie scheinen beruflich auf eine fast altmodische Art treu zu sein.

„Geo“ hat ja auch sonst ein paar Eigenschaften, die nicht gerade als hypermodern gelten.

Welche?

Die langen Texte, zum Beispiel. Sie setzen immer noch eine Freude am Lesen voraus. Mitunter ist die Lektüre von „Geo“ sogar ein wenig mit Arbeit verbunden. Sind Sachverhalte und Entwicklungen, die wir darstellen, kompliziert, behaupten wir nicht, sie seien einfach. Wir simplifizieren nicht. Das unterscheidet unsere Geschichten von den Gebrauchsanweisungen, die für den populärwissenschaftlichen Ansatz typisch sind. Lässt sie in den Augen mancher sogar etwas elitär erscheinen. Und hoch ist ja auch der Preis.

Sechs Euro kostet das Magazin.

Dafür erwarten unsere Leser Geschichten, die Bestand haben. „Geo“-Ausgaben landen ja nicht nach ein paar Tagen im Altpapier-Container, sondern werden gesammelt. Dadurch bleiben wir über Jahre hinweg überprüfbar. Das zwingt zu besonderer Sorgfalt. Und das wiederum hat einen besonderen Spirit zur Folge.

Welchen Spirit?

Er besteht in einer traditionell hohen Identifikation mit dem Reportage-Journalismus dieses Blattes. Keinem geht es hier darum, Kurzzeittrends nachzujagen. Dafür gibt es über alle Ressortgrenzen hinweg eine hohe Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Themen, Texten, Bildern, die am Ende im Blatt erscheinen sollen. Das gilt nahezu unterschiedslos für die Evergreens wie für die Jungen in unserem Team. Ich glaube, wir haben immer noch eine Art Familienzusammenhalt. Bis hin zu ein paar netten Verhaltensauffälligkeiten.

Verhaltensauffälligkeiten?

Ja, zum Beispiel zeichnet sich die Redaktion durch eine gewisse Affinität zur Selbstpersiflage und zur Hausmusik aus. Bei anderen Redaktionsfeiern mag es ums Essen und Trinken gehen. Bei uns muss in der Regel ein Komitee darüber wachen, dass all die Sketche, Kabarettnummern, Chorgesänge oder Videoproduktionen der Redakteure nicht bis zum nächsten Morgen dauern.

Neigt der „Geo“-Redakteur zu Standesdünkel?

Davor bewahrt uns unsere Thematik. „Geo“-Themen sind ja weder im politischen Berlin noch in der Glamour-Szene angesiedelt. Unsere Themen eignen sich nicht für Schaumbäder, für Sensationen. Beim Interview mit einem Nobelpreisträger der Physik oder bei einer Reportage über Ärzte in Mogadischu ist nun mal kein Show-Effekt im Spiel. Ein „Und nun das Wetter“ macht sicher berühmter, als es zehn Jahre bei „Geo“ tun. Und wenn Sie bei uns eine Arroganz gegenüber anderen Print-Kollegen vermuten: Wir wissen, dass wir besondere Produktionsbedingungen haben.

„Geo“ ist längst nicht mehr das opulente Erdkundemagazin, als das es gestartet ist. Warum streichen Sie nicht den Untertitel „Das neue Bild der Erde“?

Der Untertitel wird bleiben, aber wir interpretieren ihn heutzutage anders. Natürlich gehen wir noch immer nach Burundi oder in die Rub al-Khali oder ins Eismeer. Aber als ein Medium der Wissensgesellschaft kann sich unser Themenfeld nicht im Exotischen und schon gar nicht im Geografischen oder Geologischen erschöpfen. Über die Kontinentalplattenverschiebung könnten wir alle hundert Jahre etwas Neues berichten; der gesellschaftliche Wandel, die Erkenntnisgewinne der Wissenschaften sind das spannendere Thema.

Und Sie sind dabei immer auf der Suche nach neuen Marktnischen? Rund um das grüne „Geo“ ist eine ganze Markenfamilie entstanden mit mehreren thematischen Ablegern, internationalen Ausgaben, einem Fernsehformat, Kalendern und anderem mehr.

Klar, auch wenn nicht alles davon auf einem systematischen Scannen von möglichen Märkten basiert. Unser Kinder-Heft „Geolino“ ist entstanden, nachdem uns jemand fragte, ob wir das Kinderhilfswerk Unicef nicht mal zum Thema einer Reportage machen wollten. Und unser Geschichtsmagazin „Geo Epoche“ verdanken wir im Grunde einem jungen Historiker, Cay Rademacher, der für uns das Genre der historischen Reportage erfand. Nachdem wir merkten, auf welch große Resonanz seine Geschichten bei den Lesern stießen, haben wir den Mut gefasst, eine eigene Heftreihe daraus zu entwickeln.

Sie sprachen die besonderen Produktionsbedingungen bereits an. So profane Dinge wie Geld, Zeit und Raum hatten bei „Geo“ lange Zeit wenig Bedeutung. Es gab von allem reichlich: Zeit und Geld für Recherchen, und seitenweise Platz für Texte und Fotos. Sind die Bedingungen schlechter geworden?

Die Zeit des fröhlichen, mitunter schon besinnungslosen Geldausgebens ist natürlich vorbei. Für ein Stadtportrait ordern wir eben nicht mehr zwei Hubschrauber. Aber das hat auch etwas Gutes: Der bewusstere Umgang mit Ressourcen diszipliniert, zwingt zu überlegterem Vorgehen. In meiner ersten Zeit als Reporter stiefelte man noch mehr nach der Devise los ‚Geh aus mein Herz und suche Freud’. Um es vorsichtig zu formulieren: Das hat nicht immer zu glänzenden Reportagen geführt.

Berühmt ist „Geo“ für seinen Fotojournalismus. Inzwischen verwenden Sie aber auch viel Archivmaterial.

Das ist gar nicht zu umgehen. Reportagen, die sich mit weltweiten oder auch sehr abstrakten Phänomenen befassen, können Sie bei einem Fotografen nicht in Auftrag geben wie eine Reisegeschichte, die von A nach B führt. Nehmen Sie ein Thema wie die Gefühle oder die menschlichen Vorstellungen vom Paradies: Das verlangt nach der Suche nach symbolischen Bildern, auch aus verschiedenen Epochen. Dennoch dürfte der Anteil exklusiv in Auftrag gegebener Reportage-Fotografie bei uns noch immer Spitze sein.

Wie hat sich in den Jahren die Qualität der Fotoreportagen verändert?

International gibt es ein frappierendes Überangebot an hervorragenden Fotoreportern. Angesichts der wenigen Magazine, die der Fotografie noch großen Raum bieten, haben es viele von ihnen schwer. Die einen flüchten in die Galerien, viele andere zu Langzeit- und Lebensprojekten. Sie warten nicht mehr, bis Aufträge kommen.

Und wie steht es um das Angebot an guten Textautoren?

Da verhält es sich genau andersherum. Leider. Es gibt einen Mangel.

Woran liegt das? Es ist ja nicht so, dass Mangel an Journalisten besteht.

Nur wenige beherrschen die Langstrecke. Es ist ja etwas anderes, ob Sie einen Spannungsbogen über 80 Zeilen oder über 800 aufbauen müssen. Ich habe den Eindruck, dass sich viele Autoren deshalb lieber an Kolumnen als an Reportagen versuchen. Oft mangelt es auch an der Gewandtheit, sich bei Recherchen heute im Präsidentenpalast, morgen genauso gut bei den Müllsammlern bewegen zu können. Und schließlich: Bei vielen Autoren vermisse ich die Liebe zur Sprache; Eloquenz, Originalität, Präzision. Ihre Wörter sind langweilig, von den ausgetrampelten Pfaden aufgeklaubt. Zigtausend Mal gelesen.

Was läuft da falsch?

Lange wurde gesagt, dass das Recherchieren, das Bohren dicker Bretter, halt auch an den besten Journalistenschulen nur schwer zu lehren sei. Mittlerweile glaube ich, dass es überdies Defizite bei der Vermittlung sprachlicher Vielfalt gibt. Medienmanagement und Marketing gewinnen an Bedeutung. Und die elektronischen Medien und das Internet sowieso. Sich das alles aneignen zu müssen, verkürzt die Zeit für die Ausbildung der klassischen Reportertugenden, auch die Trainingsphase für das Polieren von Schreibstil und Sprache. Und die eigenartigen, „unschuldigen“ Erzähler, die links und rechts von ihrem Text nichts gekümmert hat, werden im Zeitalter der Medien als Marken glatter geschliffen.

Rund um „Geo“, das zum Jubiläum in Gold aufwartet, hat sich eine Markenfamilie mit sieben weiteren Heften entwickelt, darunter „Geolino“ , „Geo Saison“ und „Geo Kompakt“ (Gesamtauflage: 1,3 Millionen). Hinzu kommen zwölf internationale Ausgaben. In Kürze erscheinen eine Lexikon-Edition und das Reportagebuch „Die Fotografen“. 1976 schrieb Gründer Rolf Gillhausen , „Geo“ solle in einer Zeit rassistischer, ideologischer und nationaler Verkrampfungen Sympathie für das Fremde wecken.

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