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Medien: „Wir sind Jäger“

Claus Richter ist Redaktionsleiter von „Frontal 21“. Heute bekommt er den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis

Ist „Frontal 21“ ein politisches Magazin oder ein Magazin mit Politik?

Es ist zumindest nicht das, was man jahrelang unter einem Politmagazin verstanden hat. „Frontal 21“ ist ein Magazin, in dem Politik anders definiert wird. Für mich ist ein Politikbegriff, der sich im Wesentlichen auf Parteien, Regierungsinstitutionen und Machtzentren konzentriert, veraltet. Ich fasse den Begriff Politik sehr viel weiter und will ihn dorthin zurückbringen, wo er auch für die Zuschauer hingehört, nämlich in die Gesellschaft.

„Frontal 21“, ein Betroffenenmagazin.

Nicht grundsätzlich, aber auch. Wir machen dieses Programm für unser Publikum. Und um dem Publikum Politik oder die Folgen von Politik deutlich zu machen, braucht es Menschen in Bild und Ton, die die Folgen von Politik erfahren haben. Im Falle eines kritischen Magazins sind es ja meist die Folgen einer misslungenen Politik. Auch um die bekannte Verdrossenheit an Politik zu durchbrechen, muss man den Menschen immer wieder klar machen, warum Politik sie etwas angeht. Was die Leute doch am wenigsten interessiert, sind parteipolitisch geprägte Beiträge. Beim Stück über einen Krach in der Großen Koalition schalten sie weg.

Welche Themen müssen es dann um 21 Uhr sein?

Im Augenblick liegen die Themen auf der Hand: Alles, was mit dem Arbeitsmarkt und der Gesundheitsreform zu tun hat. Dann sind es die Probleme des Zusammenwachsens der beiden ehemaligen Teile Deutschlands. Es sind die Probleme des Radikalismus, jetzt wieder verstärkt.

Andererseits, welche Themen verbieten sich, weil sie zu sperrig sind? „Frontal 21“ sendet für ein größtmögliches Publikum.

Solche Themen kenne ich nicht.

Nicht wenige, so auch der jetzige Vizepräsident des Bundestages Wolfgang Thierse, beklagen, die Medien würden die Demokratie kaputt senden und kaputt schreiben. Trifft Sie der Vorwurf?

Dieses Argument, dass die Medien Kaputtmacher sind, kenne ich eigentlich nur aus autoritär regierten Ländern. Herr Putin könnte so etwas sicherlich auch sagen, und die Folgen dort kennen wir. Ich glaube im Gegenteil, dass Demokratie von kritischen Medien geradezu lebt und vorangetrieben wird. Dies umso mehr in Zeiten einer Großen Koalition, wenn es keine starke parlamentarische Opposition gibt. Wir erleben das ja täglich in unserer Arbeit, dass Konflikte innerhalb der Parteien und zwischen den Parteien runtergespielt werden.Der mündige Staatsbürger steht doch im Mittelpunkt jeder Demokratietheorie. Und wie wollen Sie ihn mündig machen oder mündig halten, wenn Sie ihn nicht kritisch informieren?

Heißt das auch, der Zuschauer ist nach dem Betrachten einer „Frontal 21“-Ausgabe mündiger und hat deutlich schlechtere Laune?

Das stimmt. Gerade bekam ich die E-Mail eines Zuschauers, der sehr zufrieden war mit unserer Sendung und zugleich schrieb, man habe immer das Gefühl, man müsse nach dieser Sendung jetzt jede Menge Beruhigungsmittel nehmen, um wieder den Normalzustand zu erreichen. In aller Regel werden die Zuschauer eines kritischen Magazins nicht wie bei einem Hollywoodstreifen mit einem Happy End entlassen.

„Frontal 21“ sendet seit fünf Jahren. Zu oft Alarm geschlagen und Skandal gerufen?

Wörter wie „Alarm“, „Skandal“, „Katastrophe“ vermeiden wir bewusst. Es kann aber sein, dass wir in einzelnen Fällen vielleicht zu schwarz gemalt haben. Aber wir sind uns der Gefahr dauernd bewusst. Wenn ich Texte für Beiträge redigiere, sorge ich dafür, dass Alarmismus nach Möglichkeit vermieden wird.

Nun gehört es zum guten Ton in Deutschland, stets und ständig das Versagen der Politik, der Behörden, staatlicher Stellen zu beklagen. Hand aufs Herz, Herr Richter, der Bürger versagt doch auch mal?

Ja, klar.

Aber trauen Sie sich, das dem Bürger zu sagen?

Bei den Gammelfleischskandalen haben wir das getan. Wenn wir alle ewig nur rumlaufen und sagen ‚Geiz ist geil’ und ‚Billig soll es sein’, dann darf man sich am Ende wirklich nicht wundern, wenn man billigen Gammel vorgesetzt bekommt. Auf solche Widersprüche sollten wir noch häufiger hinweisen.

Kann denn so ein Fernsehmagazin noch solchen Glanz und solchen Schrecken verbreiten, wie es früher der Fall war?

Nein. Die abnehmende Wirkung der Magazine ist nicht zu bestreiten. Ich bin bei „Monitor“ groß geworden. Wir hatten bei guten Sendungen weit über zehn Millionen Zuschauer.

Wo liegt „Frontal 21“?

Bei etwa 3,5 Millionen Zuschauern.

Das ist mehr, als die Konkurrenz hat. Trotzdem ist der Rückgang dramatisch.

Wenn Sie eine Vielfalt an Angeboten haben, sinkt natürlich die Bedeutung der einzelnen Angebote. Die Zeit der aufwühlenden Meinungsmagazine ist schlicht und ergreifend vorbei. Weil Sie in diesem Lande die großen, politisch existenziellen Auseinandersetzungen einfach nicht mehr haben. Im Namen von Freiheit statt Sozialismus werden heute keine Wahlkämpfe mehr geführt. Wir haben keinen Kalten Krieg mehr. Es gibt keinen Ostblock mehr. Der Terrorismus der 70er-Jahre, all dies ist vorbei.

Wie steht es um die „Frontal“-Mannschaft, will sie Sammler oder Jäger sein?

In erster Linie sind wir Jäger. Wir wollen den investigativen Journalismus in jeder Sendung haben.

Nehmen Sie Geld in die Hand, um Informationen zu kaufen?

Nie, nein, niemals. Wir bezahlen keine Informationen.

Aber die bewährte Aufwandsentschädigung schon?

Ja, natürlich. Nehmen wir ein praktisches Beispiel. Wir haben einen Zeugen, den wir nach Möglichkeit, da wir ja im Fernsehen sind, an den Ort des Geschehens bitten, um ihn dort vor die Kamera zu bringen. Dieser Mann muss dafür vielleicht weit fahren, Arbeitszeit opfern. Natürlich müssen wir ihn für diesen Aufwand entschädigen. Aber für Informationen zahlen wir nichts.

Bedauern Sie das manchmal? Es werden ja dadurch Geschichten an Ihnen vorüberziehen.

Das tun sie. Als Journalist bedauere ich das. Aber das ist nicht zu ändern. Unser Etat wird schließlich aus den Gebührengeldern gespeist.

Das Interview führte Joachim Huber.

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