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Medien: Wir sind TV-Weltmeister

Das Fest im Fernsehen hat uns verändert, berauscht. Aber war es wirklich gut?

Aus dem Fußball-Weltturnier wurde ein nationales Großerlebnis. Dafür sorgte das Fernsehen. Die nach offizieller Rechtslage staatsfernen Grundversorger haben tief in die durch Gebührengelder prall gefüllten Schatullen gegriffen und nach dem teuren Rechteerwerb auch beim Produktionsaufwand nicht gekleckert. Aus Grundversorgern wurden Rundumversorger.

Nicht vor dem Fest, sondern nur als „Echtzeitfernsehen“ ist Fußball ein Fernsehmotor und Quotentreffer. Zur Stunde des italienischen 2 : 0 schauten 31,31 Millionen Deutsche fern – so viele wie noch nie. Und noch nie hatten – wie bei den letzten beiden Spielen der deutschen Mannschaft – sogar mehr Frauen zugesehen als Männer. Vor allem aber stiftete das Fernsehen eine Gemeinschaftsbewegung. Wegen fortschreitender Individualisierung war schon prognostiziert worden, dass bald nur noch jeder für sich Handy-TV gucke oder mit eigenen Peergroups chatte. Offenbar gibt es aber die Sehnsucht nach dem Gegenteil – nach gleichgerichteten Gefühlsaufwallungen und fröhlicher Geborgenheit. Das „Public Viewing“ wurde zur endlosen Party.

So viel Fernsehen veränderte unseren Alltag: Aber die Sendezeiten waren größer als der vorhandene Stoff. Wie oft sahen wir „ausgerechnet“ Schnellinger noch einmal gegen Italien treffen, die flachklatschende Kanzlerin ihre Ärmchen hochreißen, Oliver Kahn Jens Lehmann Mut zusprechen? Natürlich entging uns nichts. Anders als beim Fußball selbst aber, wo Frische, Mut und Jugend gefragt waren, setzte das TV auf Standardsituationen und solides Mittelfeld. Kein Talent – keine Sarah Kuttner, kein Oliver Pocher – vermochte sich nach vorne zu spielen.

Noch stärker als die ARD setzte das ZDF auf große Unterhaltung. Es schuf sich seine eigene Fanmeile. Etwas abgekapselt vom Geschehen waren im Ersten Günter Netzer und Gerhard Delling gelegentlich zu sehr auf sich selbst geworfen. Ihr Frotzeln und Analysieren verlief gewohnt unterhaltsam, neue Dimensionen erschlossen sie sich nicht. Es droht die Gefahr allzu großer Routine.

Bei Jürgen Klopp ist das anders. Er ist der große Gewinner der Tele-WM. Beim harmoniesüchtigen Kerner ist stets alles niedlicher Kindergeburtstag oder andächtiger Kindergottesdienst. Mit Klopp hält dann die Party Einzug. Er ist laut, bestimmt, fröhlich, findet alles „geil“, ihm glaubt man den Orgasmus – in diesem Sinne ist er telegen. Vor allem aber hat er etwas Neues hinbekommen: einen Brückenschlag zwischen der großen Fete der Unbedarften und präziser Spielbeobachtung. Bei ihm sind Video-Tisch und umkringelte Spieler keine sinnlose Masche. Eindrucksvoll führt er vor, wie fünf Brasilianer unbeweglich dem französischen Torerfolg zuschauen; er erklärt, wie mutlos die Italiener in der Vorrunde gegen die USA spielen, weil immer mindestens vier Spieler hinter dem Ball blieben. Im Vergleich zu Netzer und Delling ist dies der fortgeschrittenere Strategie-Diskurs.

Auch ihnen käme es auf Analyse an, beteuern die Reporter längst unisono. Was ohnehin jeder sieht, soll nicht noch einmal erzählt werden. Aber immer noch sind Sportreporter vor allem Pädagogen. Früher, bei Sepp Herberger, Udo Lattek oder Otto Rehhagel, regierte die schwarze Pädagogik, hieß es „Gras fressen“ und „sich den Arsch aufreißen“. Statt Befehlsgewalt überwiegt heute die Kinderladen-Pädagogik der Talkshow-geschulten Alles-Versteher. Einfühlung ist zum obersten Reportergebot avanciert. Schon zur Hymne fragt Steffen Simon, ob jetzt bei Zinedine Zidane ein „innerer Film“ abläuft. Dann erklärt er, dass Christiano Ronaldo den Ball schnell abgibt, „um den Pfiffen zu entgehen“. Er weiß, was Makelele sagen wollte. Dies ist die Spezialität von Reinhold Beckmann, der uns stets genau erzählen kann, was die Spieler insgeheim denken. Bei diesen Reportern sammelt sich meist ein hübscher Strauß von Stilblüten an. Da ist Béla Réthy schon deshalb angenehm, weil er nicht krampfhaft danach strebt, mehr zu sein als Fußballreporter.

Dieser Maßgabe, vor allem Fußball zeigen zu wollen und nicht auch noch große Oper, Schicksalsspiel, Kuriositätenkabinett und wilde Emotionen, folgte auch die anfangs gewöhnungsbedürftige Bildregie. Gerade bei kleinen 4:3-Bildschirmen konnte das in häufigen Totalen fotografierte Geschehen entrückt wirken. Aber auf Dauer war dieses internationale Durchschnitts-Bildangebot gar nicht so schlecht – es half zwischen all den bunten Fans und Staatsmännern, Spielerfrauen und Trainerreaktionen doch noch den Fußball zu retten.

ARD und ZDF haben sich durch ihre Mega-Investition ganzjährig die Marktführerschaft gesichert, aber – man staune – auch für RTL hat sich die Ausstrahlung der Sonntagsspiele gelohnt. So bleiben die Kölner in der werberelevanten Zielgruppe Tabellenführer.

An den fraglichen Sonntagen sah man allerdings auch, wie klamm der Sender inzwischen mit fähigem On-Air-Personal ist. Die Logistik, wer es wann wie in welches Stadion schaffte, war fast spannender als der Inhalt sich dahinschleppender Gespräche. Zum Glück für RTL hielt der künftige „Mister ARD“, Günther Jauch, noch einmal alles zusammen, kam mit seinem „Krombacher“-Kollegen Rudi Völler gut zurecht, legte der Plaudertasche Reiner Calmund Zügel an und bewahrte, dabei unterstützt von dem sachlichen Florian König, den Sender im Dialog mit den Fans vor allzu billigem Ballermann.

Wahrscheinlich zum letzten Mal konnte Premiere zeigen, wie verhängnisvoll der Sender sich selbst missversteht. Geschätzt wird er wegen seiner reifen Leistung beim Übertragen des Fußballs. Premiere will aber unbedingt „Society“Kanal sein, Hollywood statt Fußball-Phoenix. Also treten die völlig überflüssigen Effenbergs dieser Welt im Duo an, um die Reifs zu übertönen.

Wie viele lustige Moderatoren haben zum Ecuador-Spiel Panama-Hüte getragen und sich nach Lehmanns Elfmeterstärke Zettel aus dem Strumpf geholt? Auf jeden Fall haben alle immer wieder ihr Lieblingswort „Euphorie“ benutzt, im Wechsel mit „Gänsehaut-Feeling“. Stille Freuden kennt diese Art Fernsehen nicht.

Zu den Verlierern – das war allerdings absehbar – gehören die ZDF-Brachial-Witzbolde von „nachgetreten“. Nichts war originell oder gut beobachtet, es wimmelte von Klamauk-Aufguss zu Polen oder Holländern. Einer dagegen hat Zeit tatsächlich etwas gelernt: Waldemar Hartmann hat von der verfehlten Annahme, er selber sei lustig, unter der Hand Abstand genommen. Statt Humor waren die Chefredakteure von „Focus“, „Süddeutscher Zeitung“ und „Bild am Sonntag“ zu Gast. „Waldis Club“ war am Ende Presseclub im Volksmusik-Ambiente.

Hätte nur noch gefehlt, dass da Kritisches zu hören gewesen wäre, vielleicht ein Hinweis darauf, dass es nicht zwangsweise zu den Usancen des Fußballsports gehört, dass 80 000 Gastfreunde gegnerische Elfmeterschützen auspfeifen?

Zu viel verlangt? Dann belassen wir es dabei, ausnahmsweise Johannes B. Kerner zu loben, fragte er doch, ob das große Wort Trauer nicht für Ernsteres als das Ballspiel reserviert bleiben sollte.

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