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Medien: Wo sind die Spin Doctors?

Es gibt Berufe, an die sich kaum noch ein Mensch erinnert. Was machte eigentlich ein Drechsler?

Es gibt Berufe, an die sich kaum noch ein Mensch erinnert. Was machte eigentlich ein Drechsler? Oder ein Internet-Entrepreneur? Weiß noch jemand, was ein Spin Doctor so trieb?

Richtig – das war irgendwas mit Politik und Medien. Aus angelsächsischen Gefilden kam dieser Beruf zu uns. Schlaue Jungs – Frauen gab’s kaum –, ziemlich tough und ziemlich durchtrieben, die Clinton und Blair zum Sieg verhalfen, indem sie den Medien die richtige Geschichte mit dem richtigen Dreh („Spin“) zur richtigen Zeit erzählten.

Auch in Deutschland blühte die Branche auf: Bodo Hombach, Matthias Machnig, Fritz Goergen, Peter Radunski, Michael Spreng – über ihre Tricks und Kniffe, ihre Plots und Pläne berichteten die Medien in den Wahlkämpfen von 1998 und 2002 beinahe mehr als über Gerhard Schröder, Edmund Stoiber oder Helmut Kohl.

Im beginnenden diesjährigen Wahlkampf ist von Spin Doctors nichts mehr zu hören und zu sehen. Warum?

CDU und CSU treten unter dem Banner mit der Aufschrift „Ehrlichkeit“ in die Wahlkampfarena. Da würden Figuren, bei denen man auch nur entfernt an Manipulation denken könnte, das Bild empfindlich stören. Michael Spreng wurde gleichsam durch Udo Walz ersetzt, der immerhin die Frisur Angela Merkels ein wenig manipulieren durfte.

Bei den Sozialdemokraten erledigte sich das Thema von selbst. Spin Doctoring setzt ein Mindestmaß an Selbstdisziplin und Strategievermögen voraus. Mit der Inszenierung des Misstrauensvotums jedenfalls würde wohl kein Spin Doctor gerne in Verbindung gebracht werden.

Bei den Grünen widerspricht – obwohl in keiner anderen Partei so hingebungsvoll finassiert wird – das Bild eines Tricksers hinter den Kulissen dem Selbstbild. Die FDP erinnert sich mit Grauen an das „Projekt 18“ und verspricht lieber einen „Schwarzbrot-Wahlkampf“ ohne Geschichten und Inszenierungen. Bei der neuen „Linkspartei“ schließlich gibt es bei Führungsfiguren wie Gysi und Lafontaine für Spin Doctors keinen Raum – sie besetzen die Position in Personalunion.

Wenn es in diesem Wahlkampf keine Spin Doctors gibt, fallen dann auch ihre Tricksereien aus?

Da sollte man sich nicht täuschen. Die Art und Weise, wie die Visa-Affäre hochgekocht wurde, das Timing bei den Enthüllungen zur Schmiergeldaffäre bei VW, die Instrumentalisierung des Bundespräsidenten in der Vertrauensfrage: Das sind viele Beweise dafür, dass der Spin auch ohne identifizierbaren Doctor funktioniert.

Michael Geffken

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