zum Hauptinhalt
Vor dem Reichstag soll Luther (Roman Knižka) seine Thesen widerrufen - und bleibt standhaft. Ein wissenschaftlicher Berater hat auch dafür gesorgt, dass in dem Dokudrama die Fakten stimmen.

© Julie Vrabelova/ZDF.

ZDF-Dokudrama zum Reformationstag: Ein Mönch wird Mensch

Große Worte, stille Örtchen: Das „Luther-Tribunal“ zeigt den Reformator auf dem Reichstag in Worms und wahrt dabei historische Authentizität.

Wer hockt denn da im Gras am Wegesrand? Der große Reformator Martin Luther versucht vergeblich, seinen Darm zu entleeren. Verstopfung quält ihn. Die Begleiter des rebellischen Augustinermönchs auf dem Weg nach Worms, wo er 1521 vor Kaiser Karl V. und den deutschen Kurfürsten seine Lehren verteidigen soll, verspotten Luther, als wäre der ein Schisshase.

Dabei ist er besonders damals ein getriebener Gottsucher auf dem Weg zu sich selbst. Das ZDF-„Luther-Tribunal. Zehn Tage im April“ (Buch: Friedrich Klütsch, Regie: Christian Twente) erwähnt Luthers Verdauungsqualen ein weiteres Mal. Unmittelbar vor Beginn der Anhörung in Worms kommt er vom stillen Örtchen und hat seine Bibel liegen lassen.

Der Fernsehzuschauer könnte die Verdauungsszenen als anekdotische Auflockerungsübung innerhalb eines schweren Stoffes beiseite tun. Für Psychoanalytiker aber wie Erich Fromm oder auch die Oxforder Biographin Lyndal Roper („Luther – der Mensch Martin Luther“) sind die gesundheitlichen Probleme Indizien für eine tiefgreifende innere Veränderung des Reformators: der Abschied vom Mönchsleben und von dessen Sicherheit gebenden Ritualen. Zugleich die Übernahme persönlicher Verantwortung im Glauben an Gott, die Entdeckung der Bedürfnisse des Fleisches. Ein Mönch wird Mensch. Tolles Thema, zu viel fürs Fernsehen?

Die Handlung spielt in nur fünf Tagen

Diesen Aspekt einer Persönlichkeitskrise auszubauen, nimmt sich die Dokumentation keine Zeit. Sie hofft wohl – in manchen Szenen zu Recht –, dass Roman Knižka als Lutherdarsteller die schmerzhafte innere Reifung des Reformators allein mit seinem Spiel dem Publikum vermittelt.

Drehbuch und Regie geht es dagegen mehr um den politischen Rahmen einer theologischen Großtat und damit um den Abbau von Genieverehrung für einen Einzelnen und von der Mystifizierung des Fragens nach Gott. Die Verantwortlichen dieser Dokumentation wählen sich schließlich nur fünf Tage Handlungszeit, während der das Tribunals in Worms tagte. Das birgt Gefahren und Chancen. Die Frage des Glaubens reduziert sich wie von alleine zur politischen Machtfrage. Für die Erklärung psychischer Abgründe bleibt keine Zeit. Worms wird unter der selbst gewählten dramaturgischen Enge automatisch zu einem gottfernen Schachspiel zwischen Kostümträgern, und man versteht all die Aufregung und Leidenschaft außerhalb des Verhandlungssaals nicht recht. Andererseits: Die nüchterne Kühle der Lutherpräsentation hat auch ihre Vorteile. Sie spiegelt den heutigen krisengeschüttelten Zeitgeist wider, der sich nach einer Zivilisierung der Religion sehnt, nicht nach deren dogmatischen Vorschriften.

Klischees werden vermieden

Positiv vor allem: Klischees werden vermieden. Der von Bernd Stegemann walrosshaft gespielte mächtige sächsische Kurfürst Friedrich ist innerhalb und außerhalb des mittelalterlichen Waschzubers ein listiger Lutherbeschützer, weil er den Augustinermönch als Aushängeschild für seine neugegründete Universität Wittenberg schätzt. Der wissenschaftliche Berater des „Tribunal“-Films, Professor Heinz Schilling, ist gerührt. Welcher heutige Politiker würde sich so für einen seiner Professoren einsetzen.

Kaiser Karl V. wird vom deutschen Schauspieler Mateusz Dopieralski als eleganter Machtmensch gespielt. Er hat den Kopf voller Weltmachtprobleme und schaut den teutonischen Religionsquerelen auf dem Reichstag voll gelassener Neugierde zu. Luthers großes Plädoyer für die Freiheit eines Christenmenschen, das persönliche Verhältnis des Menschen zu Gott, den Vorrang der Gnade vor den Werken, die Rettung des Glaubens vor dem Aufgehen im Denken der Geldwirtschaft – das alles gleitet anscheinend am Oberhaupt des Reiches vorbei. Der emporgekommene Sohn eines kleinen Erzbergwerksunternehmers aus dem Mansfeldischen bleibt für den Habsburger ein Ketzer. Aber mit seiner Ausrottung kann man sich Zeit lassen und so den Aufruhr – wie hundert Jahre zuvor im Fall der Zusagen brechenden Verbrennung von Jan Hus – vermeiden. Die lebensbedrohliche Reichsacht gegen Luther wird verhängt, aber mit Verspätung nach Sachsen zugestellt. Der Reformator kann auf die Wartburg entführt werden. Ein trickreicher Kompromiss zwischen dem Lutherbeschützer Friedrich und dem Kaiser ermöglicht die Aktion. Zum Zeitalter der Toleranz ist der Weg aber noch weit und führt an Millionen von Toten vorbei. Dieses Ziel ist auch heute nur wenig näher gerückt.

Luther überwindet sei Darmproblem, aber nicht den Judenhass

An acht Stellen hält das überzeugende Dokudrama den Szenenfluss an. Dann fährt die Kamera um die erstarrten Darsteller herum, und die Kommentarstimme eines Experten gibt Erklärungen ab. Regisseur Twente nennt das „Eingefrorene Zeit“. Die Bilder unterbrechen ihre Erzählungsgewalt für einen Moment. Raum entsteht für Nachdenken.

Über die in Worms zu besichtigende und noch heute gefährliche Unfähigkeit von Politik und Religion, einander zu verstehen. Über die Rätselfigur Luther, die im Versteck auf der Wartburg als Bibelübersetzer wie ein Dichter die deutsche Sprache prägen wird, seine Darmprobleme überwindet, aber nicht seinen Hass gegen Juden und aufständische Bauern. Zeit lässt sich nur im Film einfrieren.

TV: „Das Luther-Tribunal“, ZDF, Dienstag, 20 Uhr 15

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false