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Neuanfang?  Georg von Striesow (Heiner Lauterbach, v.l.n.r.), Liesbeth Erler (Nadja Uhl), Lothar (Ludwig Trepte), Anna von Striesow (Henriette Confurius), Friedrich Erler (Jonas Nay), Landrat Konrad Werner (Ronald Zehrfeld), Hilde Vöckler (Martina Gedeck).

© ZDF

ZDF-Dreiteiler "Tannbach": Von der Niederlage in die Teilung

Das Großprojekt „Tannbach“ soll im Schicksal eines Dorfes das Schicksal der Deutschen einfangen. Aber nur Drehort und Requisite können überzeugen.

Brücken sind bedeutungsschwangere Gebilde. Baulich betrachtet stehen sie für die freie Überfahrt, bildlich dagegen für die Freiheit schlechthin. Besonders im Film sorgen Brücken für Transit zur anderen, meist besseren Seite – selbst wenn sie aus Holz und Pappe sind wie in dieser idyllischen Einöde. Südlich von Prag lässt das Fernsehen mal wieder die Vergangenheit auferstehen. Tief im Osten ist Personal billig und Material noch billiger. Deshalb entstehen hier seit langem aufwendige Mittelalterschinken oder Renaissance-Reihen. Und manchmal erwacht hier der Nationalsozialismus zu neuem Leben oder das, was darauf folgte.

Hier also liegt Tannbach. Besser: läge. Tannbach gibt es ebenso wenig wie jene Pappbrücke, die das fiktive Dorf über den gleichlautenden Bach mit sich selbst verbindet. Tannbach heißt ja Besno und zählt im Alltag ein paar Dutzend Familien in ein paar Dutzend Häusern. An diesem frühlingsmilden Morgen aber hat sich die Ureinwohnerzahl verdoppelt. Mindestens. Wie an jedem der 25 von 80 Drehtagen, wenn das ZDF sein gewaltiges Team samt tonnenschwerer Ausrüstung ins Provinznest karrt. Komparsen, Techniker und Requisiteure, Hauptverantwortliche, Hilfskräfte und natürlich – es geht um den prestigeträchtigen Programmauftakt 2015 – reichlich Stars.

Heiner Lauterbach zum Beispiel, der ist ja eigentlich immer dabei, wenn Geschichte nachgestellt wird. In Besno spielt er den Grafen von Striesow, ein Junker von südostdeutschem Schrot und Korn. Da er nicht links des Tannbachs steht, auf amerikanisch besetzter Seite, sondern rechts, wo der Russe regiert, trägt der enteignete Großgrundbesitzer weder Lack noch Loden, sondern Lumpen, während Tochter Anna (Henriette Confurius) im Blümchenkleid mit dem Proletarier Friedrich (Jonas Nay) eine Zukunft im realen Sozialismus plant.

270 Minuten lang, verteilt auf drei Abende, geht es um derlei Dichotomien: Tradition und Zukunft, Freiheit und Gleichheit, Liebe und Loyalität, Ruhe und Revolte in einem geteilten Dorf, das ein GI auf der Pappbrücke im Clinch mit Rotarmisten „Little Berlin“ nennt wie das reale Vorbild Mödlareuth an der damals deutsch-deutschen Grenze. Es geht also um Aufarbeitung der Jahre nach 1933, nur diesmal über 1945 hinaus: Hier die Täter, dort ihre Opfer, beide im Kampf um Normalität nach dem Zivilisationsbruch. „Eine total abstrakte Zeit“, sagt der junge Regisseur Alexander Dierbach über sein erstes Geschichtswerk und lacht laut, als ein echter Bewohner Besnos in Ballonseide durchs Bild rennt. „Deshalb blicken wir nicht auf sie rauf, sondern aus ihr heraus.“

Jede Drehminute kostet mehr als der teure "Tatort"

Dafür scheint im zugkräftigsten Sujet nach dem Krimi, das pro Minute mehr kosten darf als der teure „Tatort“, vor allem eins verantwortlich: die Requisite. Also Knut Loewe. Im aristokratischen Cordjackett führt der Szenenbilder durch ein Dorf, das er aus hundert weiteren erwählt hat, weil es auch ohne Zutun seiner Crew aussieht wie einst. „Nicht mal die Straßen sind geteert“, schwärmt der Doyen seiner Branche fröhlich. Für den Rest an Realismus hätten 20 regionale Handwerker 22 pastellfarbene Fassaden auf Zeit altern lassen, Loewe nennt es „patinieren“, das sagt er oft.

Patina ist die Leitwährung des Historienfilms. In Besno aber, beteuern von Ronald Zehrfeld über Martina Gedeck bis Ludwig Trepte alle Beteiligten, sei ein Höchstkurs erreicht. Im Kaufmannsladen stehen selbst unterm Tresen alte Sunlicht-Päckchen. An jeder Ecke hängen Propagandaplakate, die zum Sozialismus aufrufen oder zur Denunziation seiner Feinde. Wo das Auge festen Stein vermutet, meldet jedes Klopfen Hohlräume. Die Bewohner verlassen ihre Häuser während der Drehzeit nur kostümiert. Und als Knut Loewe von 35 000 Euro Miete fürs Herrenhausinterieur samt Gobelins erzählt, gar drei Mal so viel für den Fuhrpark inklusive Panzer, radelt Nadja Uhl wie die perfekte Trümmerfrau zur gespielten Dramatik mit unechter Patina auf der falschen Brücke.

Die Kulisse stimmt also. Wie gewohnt in Stoffen dieser Art. Das visuelle Resultat befördert die Zuschauer so glaubhaft ins Vorgestern, dass es förmlich aus dem Fernseher staubt, als die Freunde Friedrich und Lothar mit dem abgekippten Schutt vom planierten Gutsgebäude ihr LPG-Haus bauen sollen. Dann aber lauscht man dem Ton – und erschrickt, wie konventionell Film trotz unkonventionellster Mühe geraten kann. „Tannbach“ ist Fernsehen von öder, kitschiger, klischeesatter Art. Den Guten tropft das Gute aus jeder guten Mine, was zeitlose Namen wie Anna und Friedrich verstärken. Fürs Böse setzt es altdeutsche Härte von Franz bis Horst, wobei der genreübliche Wendehals und ein versprengter SS-Scherge anders als im Tätervolk jener Tage singulär bleiben. Dem Rest der Darsteller gönnt Produzentin Gabriela Sperl wie schon in ihrem Drama „Die Flucht“ publikumsfreundliche Unschuld. Am unsympathischsten sind aber ohnehin Kommunisten und Rotgardisten, denen beim Freiheitbeschneiden und Kinderabknallen das Herz aufgeht.

Bei so viel revisionistischer Geschichtsverklärung gerät die Patina am Set weit frischer als das, was sie untermalt: Ein Historienevent aus dem Gruselkabinett biederer Stromlinienunterhaltung, dessen dramaturgischer Mief von perfektionistischer Requisite nur mühsam übertüncht wird. Am übelsten aber riecht die Aussicht, den Dreiteiler zur Serie aufzublasen. Knut Loewe muss es richten.

„Tannbach“, ZDF, Sonntag, Montag, Mittwoch, 20 Uhr 15

Jan Freitag

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