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Der Schein trügt.  Heike Dorsch (Stefanie Stappenbeck) und Stefan Ramin (Marcus Mittermeier) spielen ausgelassen mit einheimischen Kindern.

© ZDF

ZDF-"Herzkino" kann auch anders: Traurige Tropen

„Blauwasserleben“: Für Aussteigerin Heike Dorsch wird die Südsee-Traumreise zum Höllentrip

Ein Mann, ein Wort, ein Blatt aus dem Poesiealbum: "Wir sind im Paradies gelandet, mein Schatz ", sagt Stefan (Marcus Mittermeier) zu Heike (Stefanie Stappenbeck), seiner Weltenbummler-Partnerin, und ihr Katamaran reitet so unerbittlich frohgemut über die blauen Südseewellen wie einst der Jäger aus Kurpfalz durch den grünen Wald. Und als wäre es des Schönen nicht genug, ist es in einer der ersten Szenen gerade Weihnachten, und Heike skypt völlig losgelöst mit Zuhause und singt "Fröhliche Weihnachten überall", und der Dialog tönt: "Das Meer kannst du nur erforschen, wenn du den Mut hast, Küsten zu verlassen". Wer will da widersprechen?
Eine Insel rückt ins Bild. Sie soll das abgelegene Südsee-Eiland Nuku Hiva im Südpazifik sein, die Aufnahmen sind aber in Hawaii entstanden, wo der Film gedreht wurde. Egal, wir sind optisch festverankert in der Welt der Bacardi-Rum-Werbung. Auch startete die Weltumsegelung nicht, wie im Film zu sehen, in Hamburg, sondern in der Türkei. Im "Herzkino" aber müssen nicht die Orte stimmen, sondern die Gefühle und die sind verbürgt, gruselig und wahr.

Denn das ZDF hat ein Erinnerungsbuch von Heike Dorsch verfilmt, einen Goodseller von 2012, der eine tropische Tragödie erzählt: das Verschwinden ihres romantikempfänglichen Freundes Stefan, Heikes banges Warten und ihr Fertigwerden mit der traurigen Gewissheit: Ein muskulöser Einheimischer namens Arihano hat den deutschen Touristen nach Erkenntnissen der Polizei und eines Gerichts bei einer gemeinsamen Ziegenjagd ermordet und die Leiche verbrannt. Ein auf der kleinen Insel noch nie vorgekommenes Verbrechen. Arihano wurde zu 28 Jahren Haft verurteilt. Der Grund für das Verbrechen liegt im Dunklen. Möglicherweise waren abgewehrte homosexuelle Avancen im Spiel. Der Täter schweigt bis heute. Der Film spekuliert darüber nicht. Denn er will nicht bloß ein "Tatort" in der Südsee sein, sondern mit der Heldin Heike durch deren Trauer reisen, die geschockte Seele auf ihrer Selbstheilung begleiten, eine Fahrt so voller Untiefen wie die über das Meer.

Der Film verschränkt die Zeitebenen

"Blauwasserleben" (Buch: Christoph Silber und Stefan Schaefer nach den Motiven des gleichnamigen Dorsch-Romans, Regie: Judith Kennel) entscheidet sich für eine Erzählform, die die Zeitebenen verschränkt. Das Verfahren ist inzwischen gängig. Kaum ein Krimi, der nicht mit Tötungsdetails beginnt und dann auf Aufdröselungstour geht. Aber bei einem romantischen Movie wie diesem, das sich nicht nur einen geheimnisvollen Mord, sondern auch seine seelische Trauma-Verarbeitung zum Thema wählt, wirkt die Form der dauernden Springprozession zwischen Gegenwart und Erinnerungsflashs überambitioniert. Das geheimnisvolle Verschwinden Stefans erzählt sich wie von selbst. Auch die Bedrohung Heikes, die von Arihano heimtückisch zur vorgeblichen Suche nach dem Vermissten in den Dschungel gelockt, an einen Baum gefesselt wird und nur knapp dem Tod entgeht, bedarf keiner großen Dramaturgieanstrengung. Aber die zweite Säule des Films, die Trauerarbeit Heikes, das Ausmaß des Verlustes, den sie erleidet, bedarf einer besonderen Sprache. Die gezeigten Erinnergungsfetzen reichen nicht aus, um die Katamaran getriebenen Aussteigerfiguren mit Leben zu erfüllen, damit man als Zuschauer begreift, was der Mord zerstört hat. Das Bordleben, fast dreieinhalb Jahre waren Heike und Stefan unterwegs, präsentiert der Film in seinen Erinnerungseinschüben als Ansammlung von Klischees. Bei Hunger fängt Stefan einfach einen Fisch und serviert ihn als Sushi. Sektgläser werden im Akkord gehoben, Wonneausbrüche von Floskeln begleitet: "Spürst du den Pazifik auf deiner Haut?" Was soll Heike da anders machen, als sich lustvoll im Bett ihrer Koje zu räkeln. Die Entstehungsgeschichte dieser Weltflucht ins Blauwasser bleibt dagegen im Erinnerungsstakkato unverständlich. Besonders die Rolle des von Mittermeier gespielten Stefan Ramin verblasst zur belanglosen Chimäre der Träume von gestern, in denen hippiehafter Eskapismus noch immer als finales Glück ausgegeben wird. Dass ein solch schreckliches Ende, wie es dieser Trip nimmt, auch mit den Gefahren einer Abenteuerreise zusammenhängen könnte, kommt der Film-Heike in keiner Sekunde in den Sinn. Sie rastet aus, wenn sie über das Verschwinden ihres Freundes beim ermittelnden Südseekommissar Jacques (sehr überzeugend: Jean-Yves Berteloot) nicht gleich die volle Unterstützung findet. Sie sieht sich als Presseopfer, weil eine Falschinformation, Stefan sei von seinem Mörder gefressen worden, viel Staub aufwirbelt, und sich bei ihrer Rückkehr eine Pressemeute vor dem Hamburger Haus ihrer Mutter versammelt. Selbst wenn es war, so ist dieses Gieren der Lügenpresse ein Movie-Klischee.

Zu viel Trauersprech

Stappenbeck schäumt, empört und zappelt mehr, als dass man sie ins Leid versinken sieht. So wie der Film keine Bilder findet, wenn nach dem Mord die Südseepostkartenidylle bedrohlich wird, so vermag er nur unzulänglich zu zeigen, wie Heike zu sich selbst findet und vertraut zu sehr auf die abgegriffenen Klischees des psychologischen Trauersprechs à la "Es ist schwer, wieder zurückzukommen". Der ZDF-Film zahlt einen künstlerischen Preis dafür, dass er sich dem Selbsttherapiekonzept der Autorin Dorsch allzu mitgefühlig und schwesterlich unterwirft. Die Verwirklichung eines Südseetraums ist heute nicht mehr so unantastbar paradiesisch besetzt wie noch zu Gaugins Zeiten. Man muss heute auf ihn nüchterner und ironischer blicken dürfen. Das Fernsehen muss im Interesse des Zuschauers auch nicht die Lücken mitmachen, die die Autorin, aus welchen Gründen auch immer, hinterlässt, etwas die, wenn Heike klaglos hinnimmt, dass Stefans Eltern sie ungerechterweise finanziell hängen lassen. Dorsch hat den Film streng bewacht. Sie war bei den Dreharbeiten dabei. Sie hat spürbar Angst, dass die bösen Medien ihr ihre traurige Geschichte aus der Hand nehmen. Dabei hat sich eine Art Erlebensnarzismus entwickelt. Die Trauer eines Menschen, wenn sie ins fiktionale Fernsehen kommt, ist aber nicht der Privatbesitz des Trauernden, sondern unterliegt den Pflichten medialer Gestaltung. Die übertriebene Rücksicht auf das seelische So-lief-es-wirklich-in-der Selbsttherapie hat leider vor allem die Hauptdarsteller gelähmt: Stappenbeck und Mittermeier können viel mehr, als sie hier in den traurigen Tropen zeigen dürfen.

"Blauwasserleben", ZDF, Sonntag, 20 Uhr 15

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