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Zeitgemäßes Remake: Der alte Mann und der Wal

In der Neuverfilmung von „Moby Dick“ ist Kapitän Ahab kaum wiederzuerkennen. Aus dem Einzelgänger ist ein Mannschaftsspieler geworden. Alle für Ahab, Ahab für alle.

Gregory Peck blickte als Kapitän Ahab in der Moby-Dick-Verfilmung von 1956 stur auf den Horizont, immer auf der Suche nach dem weißen Wal, der ihn zum Krüppel gemacht hat. Der Wahnsinn schien in Funken aus seinen Augen zu sprühen. 55 Jahre nach der legendären Verfilmung von Herman Melvilles Abenteuerroman durch John Huston blickt ein neuer Ahab vom Deck der „Pequod“ auf die hohe See. Doch William Hurts Irrsinn gleicht eher einer Demenz, in der er seine eigentlichen Aufgaben als Kapitän eines Walfängers vergessen hat. Wo Gregory Pecks Ahab lange Zeit ein Schemen bleibt, von dem nur nachts die Geräusche seines künstlichen Beins auf Deck zu hören sind, ist der Ahab von Regisseur Mike Barker ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein Mann mit gutmütigem Lächeln, mit einer liebenden Frau (Gillian Anderson) und einer ihm ergebenen Mannschaft.

Gestemmt wurde die internationale Koproduktion von der Tele-München- Gruppe. 18,4 Millionen Euro brachten die Produzenten Herbert Kloiber und Rikolt von Gagern, der zuvor für das ZDF den Roman „Der Seewolf“ umgesetzt hatte, auf. Der Brite Nigel Williams verfasste das Drehbuch. Zur Mannschaft der „Pequod“ gehört „Sternenwanderer“ Charlie Cox als junger Ishmael , der erstmals auf einem Walfänger anheuert und sich mit dem polynesischen Harpunier Queequeg (Raoul Trujillo) anfreundet. Der erste Offizier Starbuck wird von Ethan Hawke verkörpert, und Donald Sutherland gibt in einer Nebenrolle den Orts-Geistlichen. Barker sieht Ahab aus einem gänzlich anderen Blickwinkel. William Hurt treibt die Mannschaft der „Pequod“ nicht durch Furcht und Gehorsam in den sicheren Untergang. So verschroben der Schiffsführer auch ist, er versteht es doch, die Männer auf seine Seite zu ziehen, sie von der gemeinsamen Mission zu überzeugen und auf den Kampf gegen den Wal einzuschwören. Starbuck bleibt der einsame Mahner, dessen Schicksal genauso von Anfang an besiegelt ist, bis sich die Prophezeiung der Tragödie erfüllt, die Elijah (Billy Boyd, bekannt als Pippin Tuk aus dem „Herr der Ringe“) den Männern vor Antritt ihrer Reise entgegenruft.

Barker rückt den Menschen Ahab in den Mittelpunkt. Er legt Wert auf Atmosphäre und Zeitkolorit, auf feine Zeichnungen, doch eine Figur bleibt erstaunlich blass – und das trotz des hohen technischen Aufwandes, der mit der computeranimierten Darstellung von Moby Dick betrieben wurde. Die Löcher in der Flosse und die anderen Spuren früherer Kämpfe sind genauso gut zu erkennen wie die symbiotisch um den Wal schwimmenden Fische. Dennoch fehlt diesem Moby Dick, was Peter Jackson im „Herr der Ringe“ mit der Kreatur Gollum gelungen ist: der Figur eine Seele zu geben. Trotz aller Bewegungen bleibt Moby Dick seltsam unbelebt. Wenn er auf Kollisionskurs zur „Pequod“ geht, erinnert er eher an Kapitän Nemos „Nautilus“ als an Herman Melvilles Leviathan.

Melville hatte sich für seinen Roman von wahren Begebenheiten inspirieren lassen. Er war selbst zwei Jahre lang auf einem Walfänger zur See gefahren. Das Schicksal der „Essex“, die von einem Pottwal gerammt wurde und unterging, sowie ein Zeitungsbericht über einen besonders wilden weißen Wal wurden zu wichtigen Zutaten für den Abenteuerroman. Der große Erfolg kam allerdings erst Jahrzehnte nach Melvilles Tod 1891.

Die Neuverfilmung ist als Zweiteiler angelegt, RTL zeigt am Sonntag die auf 120 Minuten gekürzte Fassung. Leider wurde die Schere nicht immer mit der gebotenen Sorgfalt angesetzt. Die Szene, in der Ahab dem Kapitän eines anderen Schiffes die Hilfe bei der Suche nach dessen vermisstem Sohn verwehrt, fehlt. Dass darauf später Bezug genommen wird, ist ein unnötiger Lapsus.

„Moby Dick“ von Mike Barker ist ein zeitgemäßes Remake. Das geschäftige Treiben im Hafen von Nantucket, die auf hoher See und nicht im Studio entstandenen Aufnahmen auf der „Pequod“ sowie die vielen erstklassigen Schauspieler zeugen vom ehrlichen Willen, etwas Großes zu schaffen. Doch mehr Schicksal als bei John Huston geht offensichtlich nicht.

„Moby Dick“, RTL, 20 Uhr 15

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