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taz

© Repro: Tsp

Zeitungen: Das Buch zur ''taz''

Jörg Magenau erzählt die fast 30-jährige Geschichte der linken Tageszeitung "taz". Lektüren einer Veteranin und eines Journalisten.

Mittendrin

Taz, du hast den Schlaf gestohlen, gib ihn wieder her!

Meine Kündigung habe ich auf eine Papiertischdecke in der Osteria geschrieben, im Herbst 1991, wütend, vor den Augen zweier Ex-Kollegen. Sie wollten mir nicht glauben, dass ich der „taz“ den Rücken kehren würde. Am nächsten Tag legte ich das Stück Tischdecke ins Postfach von Redaktionsleiterin Georgia. Sollten die anderen ihre blöde Genossenschaftsidee doch alleine realisieren! Ich hatte, wie viele, keine Lust mehr auf Alternativ-Mief, kollektive Selbstausbeutung und fundamentalistische Politmoral. Ich hätte gerne ausprobiert, wie das wird: eine „taz“, die einem Verleger gehört, der anständige Gehälter zahlt. Und eine selbstbewusste Redaktion, die einen Steinwurf vom Checkpoint Charlie entfernt den Ehrgeiz hat, täglich eine Erstzeitung für beide Deutschlands zu produzieren. Aber nein, die Mehrheit wollte weiter linkes Ghetto.

Dies ist ein unmöglicher Text. Pure Betroffenheitsprosa. Ja, ich bin „taz“-Veteranin. Allein beim Tagesspiegel gibt es fünf von meiner Sorte. Andere alte Kollegen machen heute den „Perlentaucher“, „Lettre“ oder schreiben Romane, haben leitende Funktionen bei der „Welt“, der „FAZ“, der „Frankfurter Rundschau“ oder der Berlinale, sitzen im „Spiegel“, in TV-Sendern oder Museen. Meine erste Korrektorin, Andrea Fischer, wurde Bundesgesundheitsministerin, meine erste Layouterin, Françoise Cactus, hat als Stereo-Total-Sängerin Furore gemacht. Ja, ich bin stolz: Ohne uns wäre die deutsche Medien- und Kulturlandschaft ärmer.

Neulich las ich Arno Widmanns Bergman-Nachruf in der „FR“, nachdem ich meinen geschrieben hatte. Ich dankte ihm per Mail, dass ich fast alles über unser Handwerk von ihm in der „taz“ gelernt habe. Er mailte zurück, er sei inzwischen so alt, dass er wisse, wie sehr die Älteren auch von den Jüngeren lernen. Noch eine Widmann-Lektion, die ich als Chefin gerne an die Jüngeren weitergebe.

Wir Veteranen sagen: Zusammen wären wir die beste Truppe der Welt. Und streiten uns gleich wieder. Wenn ich Jörg Magenaus Buch lese, begreife ich wieder, warum wir nicht zusammengeblieben sind. Präzise beschreibt er das Versuchslabor „taz“: Mengenweise Gesellschaftsdebatten trugen wir aus, oft vorab, bis aufs Blut. Klimadebatte, Frauenfrage, Kriegsdebatte, Antisemitismus-, Stasi- und RAF-Debatte. Wir waren unsere eigenen Laborratten. Das hat uns zerrissen. Und keins dieser Themen ist heute erledigt.

All das findet sich nun mit Sinn fürs Detail zwischen zwei Buchdeckeln, die Mythen inklusive. Der Kommune-1-Tisch! Der zugemüllte Redaktionsflur! Die Litera-„taz“! Und die Texis mit dem Sechs-Zeilen-Bildschirm – wir waren ja auch Computer-Avantgarde! Man liest ein Stück seines eigenen Lebens. Und man sträubt sich, will nicht eingeordnet werden in den historischen Kontext, in die Geschichte der Linken.

Dabei trifft es zu, wenn Magenau etwa schreibt, dass der erbitterte „Gaskammervoll“Streit den Übergang von der Aufklärung zur Postmoderne markierte. Ich stimmte für die Entlassung der verantwortlichen Redakteurinnen, weil ich den Unterschied zwischen Stil und Haltung gerade erst entdeckt hatte. Das wollte ich nicht gleich wieder aufgeben zugunsten postmoderner Ironie. Ich fühlte mich uralt neben den Kapielskis und Wiglaf Drostes. Ich war noch keine 30 und sorgte mit dafür, dass zwei Leute ihren Arbeitsplatz verlieren. Das hat mich zerrissen.

Und nun stehen bei Magenau nüchterne Worte über den religiösen Eifer der Political Correctness! Es ist seltsam, die notwendige Gleichgültigkeit der Geschichtsschreibung am eigenen Leib zu erleben.

Christiane Peitz, 48, war von 1984 bis 1991 Kulturredakteurin der „taz“.

Mittemüde
Taz, du hast den Rand gestohlen, gib ihn wieder her!

Nun also auch noch ein Buch. Als ob die Mythenbildung um Deutschlands verklärteste Tageszeitung nicht schon unerträglich genug wäre. Welcher junge Journalist kennt sie nicht, die Legenden aus den Schützengräben linker Medienvergangenheit, in denen „taz“-Veteranen stundenlang schwelgen können, wenn ihr Gegenüber nicht rechtzeitig das Weite sucht? Kurzform: Wir waren jung, die Republik korrupt, der Einheitslohn karg, doch unsere Weste weiß – und was hatten wir nicht für einen Riesenspaß dabei! Mein Gott, möchte man einwerfen – es war doch bloß ein Arbeitsplatz. Da aber der gemeine „taz“-Veteran, der inzwischen natürlich längst anderswo arbeitet, dem gemeinen Jungjournalisten heute in aller Regel als Vorgesetzter begegnet, behält man das lieber für sich – und hört sich die alten Geschichten geduldig zum x-ten Mal an.

Nun also auch noch ein Buch. Ein „taz“-Veteran hat es geschrieben, wie sollte es anders sein. Und erwartungsgemäß werden auch hier die alten Legenden ausgebreitet, werden Anekdötchen aus dem Redaktionsalltag wie Bibelverse eines linken Evangeliums rezitiert. Da erfährt der Leser etwa, dass um die Abschaffung der subventionierten Essensmarken für das italienische Restaurant im Erdgeschoss des „taz“-Gebäudes „ein heftiger Kulturkampf tobte“. Dass Redakteure ihre Kündigungen im Tonfall gescheiterter Liebesbeziehungen am Schwarzen Brett publik machten. Dass es während der Besetzung der „taz“ im Juni 1979 in den Redaktionsräumen „intensiv nach Bananen roch“, die die Besetzer als Proviant mitgebracht hatten. Und dass die langjährig in der Redaktion konsumierte „Sandino-Dröhnung“ später einer nicht minder fair gehandelten Kaffeemischung aus Nicaragua wich, bevor sie schließlich von der hauseigenen „taz“-Marke abgelöst wurde. Halleluja!

Nun gut, der Leser erfährt natürlich auch sonst noch so einiges. Jörg Magenau, man muss es ihm lassen, hält durchweg ironische Distanz zu seinem Gegenstand – und hat, quasi nebenbei, eine ziemlich elegante und beeindruckend detailliert beobachtende Geschichte der bundesrepublikanischen Linken seit den späten siebziger Jahren geschrieben. Den Weg der „taz“ vom linken Underdog-Blatt zur gepflegten Hauspostille des alternativen Mittelstands deutet er dabei als prädestinierte Marschrichtung, die auch ihrem Leserkreis von Anfang an eingeschrieben war: „Das grün-alternative Milieu“, so Magenau, stehe für den „Beginn eines neuen, moralisch orientierten Bürgertums, das entdeckt, dass zum Linkssein auch bewahrende, konservative Elemente gehören.“ Deshalb habe sich die „taz“ zwar nur als „Anti-Zeitungs-Zeitung“ gründen können, wie auch die Grünen in ihrer Anfangszeit eine „Anti-Parteien-Partei“ gewesen seien. Ins Ziel aber gingen beide als durchweg bürgerliche Institutionen – wobei ihnen immerhin der Triumph gehört, dass das Bürgertum ihnen auf dem Weg ein gutes Stück entgegenkam.

Am Ende der Lektüre stellt sich dann doch, es sei hier zähneknirschend zugegeben, so etwas wie Neid ein – Neid auf die Gnade der frühen Geburt. Dass es in diesem Land tatsächlich mal eine Zeit gab, in der noch Experimente jenseits dieses alles verschlingenden Mittemischmaschs denkbar waren – man kann es sich heute kaum noch vorstellen. Nur: Müssen wir Jüngeren den „taz“-lern jetzt auch noch Tribut dafür zollen, dass sie den gesellschaftlichen Rand mit der Mitte versöhnt haben – und uns den Rand dabei gestohlen? Kommt überhaupt nicht infrage!

Jens Mühling, 31, hat noch nie eine Zeile für die „taz“ geschrieben, dafür aber diverse „taz“-Veteranen als Chefs erlebt.

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