zum Hauptinhalt

Zu PAPIER gebracht: Falscher Alarm

Cyberterror! Netzkriminalität!

Cyberterror! Netzkriminalität! Hackende Gangsterbanden! Alarm! Alarm! So tönt es seit einigen Jahren aus den Büros von Sicherheitsunternehmern und Innenpolitikern. Glaubt man ihren düsteren Visionen, sitzen in dieser Sekunde unzählige zu allem bereite und bis an die Mauszeiger bewaffnete virtuelle Söldnerbanden vor ihren Rechnern und stehlen, zerstören und sabotieren alles im Internet, was nicht von nagelneuen Firewalls gesichert wird, die mindestens die Größe des Saarlandes haben müssen. „23,5 Milliarden Euro Schaden in Deutschland“, hyperventiliert etwa der „Symantec Cybercrime Report 2011“, das Sicherheitssoftwareunternehmen McAfee veranschlagt den weltweiten Schaden durch Netzkriminelle gar auf eine Billion Dollar.

Das klingt nach Schlachtfeld und dringend notwendiger Aufrüstung – und so soll es auch klingen. Denn solange sich alle Bürger erschrocken die Hände vors Gesicht schlagen und ihre Adrenalin-Pegel in die Höhe pumpen, kommen sie wahrscheinlich nicht auf die Idee, diese astronomischen Zahlen infrage zu stellen. Dabei würde schon ein Blick in die Wikipedia reichen, um die Drohkulisse „Cyberkriminalität“ verdächtig ins Wanken zu bringen. Eine Billion Dollar? Ernsthaft? Wäre die Netzkriminalität ein Land, würde es sich demnach in den Bruttoinlandsprodukt-Charts knapp vor den Niederlanden und knapp hinter Süd-Korea einreihen. Die Cyberkriminellen verursachen also angeblich mehr wirtschaftliche Kosten, als die Niederlande mit ihren knapp 17 Millionen Einwohnern in einem Jahr erwirtschaften? Kann das sein? Nein. Kann es nicht.

Die beiden Wirtschaftswissenschaftler Dinei Florencio und Corman Herley haben sich jüngst die Cyberalarm-Studien von Unternehmen und Regierungsorganisationen angesehen und „absurd miserable statistische Methoden“ entdeckt, die diese Untersuchungen „absolut unglaubwürdig“ machten. Zwischen den Zeilen liest man die Fassungslosigkeit der beiden Ökonomen heraus, wenn sie kopfschüttelnd konstatieren, falsche Annahmen seien „die Regel und nicht die Ausnahme“. Florencio und Corman Herley zerlegen die Methodiken und Inhalte der Panik-Papiere vollständig, die immerhin als Grundlage für Unternehmensentscheidungen und Gesetzesvorlagen dienen und die den Medien immer für eine Schlagzeile gut sind.

Man weiß nicht, ob man es nur erstaunlich oder zutiefst erschreckend finden soll, dass sich in den vergangenen Jahren der von allen Seiten befeuerten Cybercrime-Angstspirale ganz offensichtlich kein Innenministeriumsmitarbeiter und auch kein Wirtschaftsjournalist die Mühe gemacht hat, das Fundament der Netzkriminalitätshysterie auf seine Tragfähigkeit hin zu untersuchen.

Der Autor ist Journalist und Filmer.

Zur Startseite