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Meinung: … Italien

Es gibt kein Entrinnen. Wer als Deutscher in einer römischen Straße wohnt, in der außer ein paar philippinischen Altenpflegerinnen und dem marokkanischen Blumenhändler keine weiteren Ausländer leben, der kriegt all die Höhen und Tiefen seiner Nation hautnah ab.

Es gibt kein Entrinnen. Wer als Deutscher in einer römischen Straße wohnt, in der außer ein paar philippinischen Altenpflegerinnen und dem marokkanischen Blumenhändler keine weiteren Ausländer leben, der kriegt all die Höhen und Tiefen seiner Nation hautnah ab. Vor elf Monaten war das ganz nett. Da wurde Joseph Ratzinger zu Benedikt XVI., und alle kamen bei den Deutschen gratulieren – neidlos, stolz beinahe, auf jeden Fall voller Anerkennung: die Nachbarn, der Gemüsehändler, der Friseur. Doch jetzt, seit Donnerstag früh, hört das Gefeixe nicht mehr auf. Die Nachbarn, der Gemüsehändler, der Friseur – alle frozzeln, spötteln, grinsen, höhnen: „Na, eure Deutschen, wo waren sie denn in Florenz?“ „Oh, was seid ihr untergegangen!“ Sie sagen aber auch: „Ihr Armen!“, und lassen Wogen des Mitleids über einem zusammenschlagen.

Diese Schmach! Sie wird einem noch lange um die Ohren wehen. Auch die Zeitungen im Land – vom Mailänder „Corriere della Sera“ hinab bis zu „La Sicilia“ aus Catania – tun alles, um die Historizität dieses Resultats festzuklopfen. „Italien demütigt Deutschland“, schreiben sie, oder: „Deutschland in tausend Scherben.“ „Gegen Weißrussland haben wir auch 4:1 gewonnen, aber dabei sind wir wenigstens ins Schwitzen geraten.“ Fragt der verblüffte „Corriere“: „Wie nur soll man dieses Spiel begreifen? Es war, als hätten wir aufs Rote Kreuz geschossen.“

Einstimmig schreiben alle von Jürgen Klinsmanns „deutscher Butter“. Will in etwa sagen: Pudding da, wo die Italiener teutonisch gestählte Muskeln erwartet hatten. Oder: „Keine Spur von einer Verteidigungslinie: einfach weggeschmolzen, eine lächerliche Formation.“ Sarkastisch bemerkt aus Turin die Zeitung „La Stampa“: „Ein Regiment ohne Seele. Kein Bier im Blut. Massakriert.“

Und während es „La Repubblica“ einzig dem Sportsgeist der Italiener zuschreibt, dass der Sieg nicht noch höher ausgefallen ist – „Gewinnen ist schon recht, haushoch gewinnen auch, aber besser die Unterlegenen nicht auch noch demütigen!“ –, bemüht sich der italienische Trainer Marcello Lippi, den Ball flach zu halten. Seine Mannschaft habe durchaus überzeugend gewirkt, sagt er: „Aber dämpft eure Euphorie! Das Ergebnis hat ein Ausmaß, das über den wahren Unterschied zwischen uns und Deutschland hinausgeht.“ Noch schöner hat es nur der Kassierer in unserem Supermercato formuliert. Erst grinste er, wie all die anderen, dann wurde sein Gesicht richtig ernst. Und dann sagte er: „Kopf hoch. Die unseren erwischt’s auch wieder mal. Keine Sorge.“

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