zum Hauptinhalt

100 Jahre Frauentag: Die halbe Revolution

Das Weltwirtschaftsforum gibt einen Index der Geschlechtergleichheit heraus. Die arabischen Länder gehören zu den Schlusslichtern. Von der westlichen Politik dürfen die Frauen dort keine Unterstützung erwarten.

Von Anna Sauerbrey

Nein, kein Streit jetzt über Quoten und gleiche Bezahlung, über Kitaplätze und Ehegattensplitting. Es ist Zeit für eine Schweigeminute. Wir begehen den 100. Frauentag. Aber wie immer will die zappelige Welt einfach nicht stillhalten. Denn aus den arabischen Ländern erreichen uns ungewohnte Bilder.

Schwarz verschleiert sind sie fast alle, die Frauen auf dem Perlenplatz in Bahrains Hauptstadt Manama. So kennt man sie, so huschen sie seit Jahren im Hintergrund durch die Fernsehbilder. Doch diese arabischen Frauen haben sich die rot-weiße Landesfahne über den Hidschab gebunden, andere schwenken sie über ihren Köpfen. Sie demonstrieren gegen das autokratische Regime, allerdings in der „Frauenzone“, die durch ein Band markiert wird. Verhüllt und dennoch öffentlich. Beteiligt und zugleich separiert. Während wir uns selbst inspizieren und fragen, ob sie vollendet ist, die Frauenrevolution, müssen wir gleichzeitig rätseln, ob mit der Jasmin-Revolution vielleicht die nächste Frauenrevolution beginnt.

In Ägypten schien sich einen Moment lang auch für Frauen ein Fenster zu öffnen. Die ägyptische Feministin Mozn Hassan berichtete Anfang Februar begeistert vom Tahrir-Platz, Frauen und Männer würden gemeinsam für Freiheit, Gleichheit und Demokratie streiten. Einige Wochen später ist die Stimmung gedämpfter. Berichte über sexuelle Übergriffe während Demonstrationen gehen um, die Übergangsregierung macht keine Anstalten, Frauen mit Ämtern zu beteiligen. Während der politische Wandel zaghaft fortschreitet, bleibt der gesellschaftliche Wandel offenkundig stecken.

Seit einigen Jahren gibt das Weltwirtschaftsforum einen Index der Geschlechtergleichheit heraus. Wie viele arabische Länder gehört Ägypten zu den Schlusslichtern. Nur ein Viertel der Berufstätigen sind Frauen. Frauen werden im Familien- und Erbrecht benachteiligt, gegen häusliche und sexuelle Gewalt kaum geschützt, höhere Bildung genießen sie selten. Genitalverstümmelung ist verbreitet. Ungleichheit, die so tief verankert ist, lässt sich nicht mit Demonstrationen hinwegfegen wie ein alter, müder Autokrat.

Trotzdem ist Frauen wie Mozn Hassan zu wünschen, dass sie es schaffen, mit dem Schwung der Jasmin-Revolution ihre Sache zu beschleunigen. Der erste Grund ist offensichtlich: Die Beteiligung der Frauen an der Gesellschaft ist eine Frage der Gerechtigkeit. Eine Gesellschaft, in der nur die Hälfte der Menschen frei ist, verdient es nicht, eine freie Gesellschaft genannt zu werden.

Aber auch aus wirtschaftlicher und entwicklungspolitischer Perspektive ist mehr Geschlechtergerechtigkeit in der arabischen Welt wünschenswert. Statistisch betrachtet wirkt die Beteiligung von Frauen an der Gesellschaft regelrechte Wirtschaftswunder. Ihr intellektuelles und produktives Potenzial ist bisher unerschlossen. Länder, die in die Mädchen- und Frauenbildung investieren, können ihr Wirtschaftswachstum steigern und ihre Geburtenraten senken – und haben langfristig weniger Probleme mit wütenden jungen Männern ohne Arbeit.

Von der westlichen Politik dürfen die Frauen in den arabischen Ländern allerdings keine Unterstützung erwarten. Bislang wurde Frauenpolitik erst dann relevant, wenn es galt, einen ungeliebten Krieg zu verkaufen, wie in Afghanistan. Doch vielleicht könnten wir während all der feierlichen Schweigeminuten zum 100. Frauentag wenigstens einen Moment lang nicht nur an die fast vollendeten, sondern auch an die beinahe beginnenden Revolutionen denken.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false