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Meinung: Abschied einer Taube

Colin Powell tritt als US-Außenminister zurück, er wird Europa fehlen

Er war fällig. Er rieb sich auf. Freund und Feind drängten ihn schon lange. Jetzt tat Colin Powell, Amerikas beliebtester Politiker, was als Gerücht seit Monaten kursierte – er trat zurück. George W. Bush muss sich einen neuen Außenminister suchen.

Zu Beginn einer zweiten Legislaturperiode sind Ministerwechsel nichts Ungewöhnliches. Doch der Zeitpunkt ist prekär. Die USA sind im Krieg. Das Verhältnis der Regierung zu vielen Verbündeten ist ramponiert, ihr Ansehen in der arabischen Welt auf dem Tiefpunkt. Powell verkörperte Hoffnung. Auf ihn konzentrierte sich die Sehnsucht nach einem anderen, einem besseren Amerika. Sein Rücktritt schmerzt. „Where have you gone, Colin Powell?“ – Wo steckst du nur: Diese besorgten Zeilen standen am 10. September 2001 auf dem Titel eines großen amerikanischen Wochenmagazins. Schon damals schien er abgetaucht zu sein, in der inneren Emigration. In wichtigen Debatten – SDI, Nordkorea, Naher Osten, Kyoto – wurde er von den Falken an die Wand gedrängt. Die Terroranschläge einen Tag später verstärkten den Trend. Plötzlich galt Aktionismus als Tugend. Rasch rückte der Irak auf den Radarschirm der Regierung. Powell verstand das nicht. Er warnte. Keiner hörte auf ihn. Besonders Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entwickelten sich zu seinen Gegnern.

Powell tat sein Bestes. Er war es, der Bush davon überzeugte, den UN-Sicherheitsrat einzuschalten. Zähe Verhandlungswochen folgten. Doch die Entscheidung schien längst gefällt worden zu sein. Powell bekommt den Gang zur UN – aber Cheney und Rumsfeld bekommen ihren Krieg: Darauf lief die Arbeitsteilung hinaus. Der Höhepunkt der Perfidie war Powells Auftritt vor den Vereinten Nationen. Ausgerechnet er, der Skeptiker, übernahm die PR-Arbeit zur Entmachtung Saddam Husseins. Der Warner hatte sich als Missionar einspannen lassen.

Fortan dankte ihm keiner mehr. Die „New York Times“ forderte Powell auf, endlich Rückgrat zu zeigen und die Regierung zu verlassen. Die Neokonservativen wiederum spotteten. Dem obersten US-Diplomaten sei es nicht einmal gelungen, die von ihm so geliebte Völkergemeinschaft vom Nutzen der Irakinvasion zu überzeugen. Er habe versagt.

Um Powell wurde es einsam. In den Polen der Politik fand er sich nicht mehr wieder. Er hat unter Richard Nixon und Ronald Reagan gearbeitet. George Bush senior ernannte ihn zum Generalstabschef. Er ist Militär und treuer Republikaner. Beides prägt seinen Charakter. Ein Sprachrohr der Liberalen war er nie. In den ersten Monaten der Clinton-Administration habe er sich „wie ein Stinktier bei einem Picknick“ gefühlt, schreibt er in seiner Autobiographie.

Unverstanden, unverständlich: Ein Stück Tragik liegt in Powells Rücktritt. Jetzt, da die Falken durch das Irakdebakel diskreditiert wurden, verlässt er die Bühne. Jetzt, wo sich im Nahen Osten endlich neue diplomatische Möglichkeiten eröffnen, macht er nicht mehr mit. Wir werden ihn vermissen – auf beiden Seiten des Atlantiks.

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