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Meinung: Abu Ghraib, Teil II?

Von Axel Vornbäumen

Die Bilder sind spärlich, und sie sind grausam. Sie liefern nur Ausschnitte, sie verzerren die Realität. Nur wenig ist zu erfahren gewesen in den vergangenen Tagen von der Intensität, mit der die „Schlacht“ um die zentralirakische Rebellenhochburg Falludscha geführt wurde. Die wenigen Schilderungen von „eingebetteten“ Reportern weisen aber auf ein unfassbares, auf ein kaum zu begreifendes Leid in der Stadt hin, auf Folterkeller, auf verhungernde, verblutende Kinder, deren verängstigte Eltern es wegen der andauernden Kampfhandlungen nicht wagten, ihre Häuser zu verlassen und Hilfe zu holen. Es gibt Berichte von Sprengfallen, verborgen unter den Leichen gefallener Kämpfer; es sind Berichte von der Perfidie des Krieges, Berichte von der Nacht der Zivilisation.

Das muss man wissen, wenn man sich das Video zumutet, das NBCReporter von der Erschießung eines verwundeten Irakers durch einen US-Soldaten am vergangenen Wochenende in einer Moschee in Falludscha gedreht haben. Falludscha – das ist Ausnahmezustand, auch emotional. Nur: Es entschuldigt – nichts. Die Bilder aus der Moschee künden von einem Kriegsverbrechen, der auf dem Band zu hörende, menschenverachtende Ton der Marines ist das widerwärtige Begleitmaterial dazu. All das wird ausreichen, den Täter des Verstoßes gegen das Militärrecht zu überführen; bis es so weit ist, sei ihm die Unschuldsvermutung nur deshalb zugestanden, weil Bilder lügen können. Sie liefern nur Ausschnitte, sie verzerren die Realität.

Die Bilder aus der Moschee aber werden in unserer Erinnerung bleiben. Abu Ghraib reloaded? Wenn man sie ernst nimmt, dann sind sie in gewisser Weise schlimmer als Abu Ghraib, denn sie folgen jenen Horrorfotos aus dem Gefängnis, in dem US-Soldaten bereit waren, sogar moralische Minimalanforderungen über Bord zu schmeißen. Sie sind schlimmer, weil die Diskussion um Abu Ghraib in der Öffentlichkeit geführt wurde – aber ganz offenkundig zumindest bei einem Teil der US-Armee nicht angekommen ist. Sie sind schlimmer, denn sie künden so offensichtlich von jener „Logik des Krieges“, die ein von „eingebetteten“ Reportern interviewter Soldat auf die Formel gebracht hat: „Nur ein toter Mudschahed ist ein guter Mudschahed.“

Auch das Internationale Rote Kreuz will den Fall nun untersuchen: Eine Sprecherin in Genf sah sich am Mittwoch zu der Erklärung genötigt, wonach das humanitäre Völkerrecht jeden Angriff gegen Zivilisten und Personen, die nicht an Kämpfen teilnehmen, verbiete; dazu gehören auch verletzte Kämpfer. Will die US-Armee nicht, dass ihr dies als moralisches Armutszeugnis in toto ausgestellt wird, dann tut lückenlose Aufklärung Not. Interessanter noch ist die Frage, ob der Hass des einfachen Soldaten etwas zu tun hat mit dem 11. September. Es wäre ein kruder Zusammenhang.

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