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Meinung: Abwiegler im Aufwind

Von Malte Lehming

Was ist schlimmer – ein Rechtsradikaler oder eine Debatte über ihn? In diese Frage münden, rund zwei Wochen vor der Fußball-WM, recht viele Diskussionen im Land. Aufwiegler und Abwiegler brüllen sich an. Und jene, um die es geht, lachen sich immer unverschämter ins Fäustchen. Sie triumphieren, weil sie sich durch unsere Schlagzeilen bestätigt glauben.

Zwei Fälle, kurz nacheinander, liefern den Abwieglern ihre Stichworte. Da ist der Italiener, der behauptet hatte, von Neonazis verprügelt worden zu sein, in Wahrheit aber betrunken auf ein Schienengleis gefallen war. Und da ist der Deutschäthiopier Ermyas M., der am Ostersonntag in Potsdam niedergeschlagen worden war und lange Zeit im Koma gelegen hatte. Durch sein Schicksal war die landesweite Diskussion ins Rollen gebracht worden. Nun rudert, zumindest auf den ersten Blick, Generalbundesanwalt Kay Nehm, der die Sache an sich gezogen hatte, zurück. Die Ermittlungen gibt er ab. Die fremdenfeindlichen Äußerungen der mutmaßlichen Täter, heißt es, stünden offenbar nicht im Zusammenhang mit der Tat.

Man kann ihn schon hören, den Chor jener, die jetzt „Siehste!“ rufen. In deren Weltbild gibt es ein friedliches Deutschland, dessen Ruhe vor allem durch Medienaufbauschungen und voreilige Schuldzuweisungen gestört wird. Sie halten die Debatte für ärger als das Problem. Wenn’s doch so wäre! Denn wer im Tagebuch des alltäglichen Rassismus blättert, kommt zu einem anderen Befund. Sicher, zwei Fälle, die Schlagzeilen gemacht haben, müssen heute anders bewertet werden als zur Zeit ihrer Bekanntmachung. Das aber lindert nicht das Leid all der anderen Opfer, die es meist nur in die Meldespalten der Nachrichten schaffen. Dem Generalbundesanwalt liegen heute Erkenntnisse über den Fall Ermyas M. vor, die er zur Tatzeit nicht haben konnte. Dennoch war es richtig von ihm, sich in die Ermittlungen einzuschalten. Nun sind wir klüger, Gott sei Dank. Hat sich damit das Problem erledigt? Leider nein. Wenn’s um Rassismus geht, hat das Land in der Mitte Europas seine eigene Mitte noch nicht gefunden.

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