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Ägypten: Die Geschichte ist im Lauf

Lange Zeit war Hosni Mubarak ein Garant für Stabilität im Nahen Osten. Doch nichts wirkt so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Für die Ägypter ist das die Idee der Freiheit.

Da wird Weltgeschichte gemacht, in Kairo. Ein Aufstand der Massen, der Millionen, und er kann die ganze Region erfassen, den Nahen und den Mittleren Osten, einen Staat nach dem anderen. Der Jemen ist auch schon in Aufruhr. Und sei es, dass außerhalb der Metropole die Ägypter in Schreckstarre verharren oder sich in den Kokon unwirklicher Normalität zurückziehen – wo Regime wie das des Hosni Mubarak herrschen, geht es immer um den Sitz der Staatsgewalt. Den muss erobern, wer den Staat übernehmen will. In Kairo geht noch alle Gewalt, auch alle Gegenwehr, vom Volk aus. Das Militär hält sich zurück; vielleicht aber nur so lange, bis es entweder von Teilen des Volkes gerufen wird, oder bis es den Eindruck hat, der Staat löse sich in Gewalt auf.

Das erinnert in seiner Zuspitzung an die Bilder aus einem versunkenen deutschen Staat vor mehr als 20 Jahren. Da wartete das Militär auch in den Nebenstraßen, und eine große blutige Konfrontation war damals auch möglich. Doch man kann in dieser Lage Erich Honecker einen Satz für diese Sentenz stehlen: Geschichte in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Denn fest steht, dass Mubarak demnächst Geschichte sein wird, nach knapp 30 Jahren, die er Ägypten beherrscht hat. Der Mann mit der drittlängsten Herrscherzeit in der Jahrtausende alten Geschichte dieses Landes muss sich in jedem Fall zurückziehen. Das ist eine Schmach für ihn, weshalb der General früherer Jahre wohl auch derart pathetisch an seine Taten erinnert hat; die, und darauf hat er bestimmt für die Geschichtsschreibung Wert gelegt, aus seiner Sicht nicht alle schlecht gewesen sind.

Mubarak will nicht fliehen, aber die Geschichte in diesem Lauf wird ihn einholen. Wahr ist, dass dieser Mann zu seinen frühen Zeiten das Beste war, was sich Ägypten nach Sadat zutraute. Er war bis zuletzt der, dem der Westen inklusive Israel vertraute und, offenkundig, vertrauen konnte. Das zeigt nicht zuletzt die Reaktion des israelischen Präsidenten Schimon Peres, der Mubarak Respekt bekundet hat. Nun allerdings ist Mubaraks Zeit definitiv vorbei. Nichts wirkt so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, schrieb Victor Hugo, lange ist es her. Es ist ein Satz, wie für diese Situation verfasst – die Ägypter haben eine Idee davon bekommen, was Freiheit heißt.

Da ist einmal die Freiheit von etwas: von Autokratie und Kleptokratie, von all denen, die sich auf Kosten aller anderen die Taschen vollmachen. Und dann geht es um die Freiheit zu etwas: sein Leben zu dem machen zu können, was es sein sollte, erfüllt, nach den eigenen Maßstäben im gesellschaftlichen Kontext. Die Verheißung dabei lautet, dass Nah- und Mittelost nie wieder in die Zeit vor dieser zweiten ägyptischen Revolution zurückkehren können.

Der Status quo ist ein anderer geworden. Aber … es gibt ein großes Aber. Wie anders wird es werden? Das wird erst der weitere Verlauf der Revolution zeigen. Wird sie noch blutiger? Werden Extremisten übernehmen? Kommt es zum Kampf zwischen Modernisierern und Traditionalisten? Viel hängt davon ab, ob Ägypten seine Moderne definieren kann, als ein aufgeklärter islamischer Staat. Daran kann sich Weltgeschichte entscheiden. Bisher hat die Fackel der Freiheit den Willen zur Veränderung entzündet, mit der Gefahr eines alles zerstörenden Zorns. Nötig sind darum kühle Köpfe im Land und in der Welt, fähig, Veränderung zu fördern und zu steuern. Und Friedensnobelpreisträger, die sich ihres Preises jetzt als würdig erweisen.

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