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Abd al-Fattah al-Sissi, Ägyptens nächster Präsident?

© dpa

Ägypten: Die zerrissene Nation

Ägyptens Übergangsregierung tritt zurück, während Armeechef al-Sissi in Russland neue Waffen kauft, mit saudischem Geld und ungeeignet für den Kampf auf dem Sinai. Die immer größer werdende Kluft zwischen Liberalen und Islamisten stürzt Ägypten weiter in die Krise.

Die Wahrheit wird im Streit geboren – heißt es im Volksmund, eine Erfahrung, die kürzlich auch Ägyptens Tamarud-Bewegung machen musste. Im letzten Juni hatten sich ihre Anführer noch mit 22 Millionen Unterschriften gegen Mohammed Mursi gebrüstet, die die Massenproteste seinerzeit mit auslösten. Heute hauen sie sich ihre gemeinsame Kampagne gegenseitig um die Ohren.

So erfuhr die Öffentlichkeit nun erstmals aus berufenem Mund, dass die von dem koptischen Milliardär Naguib Sawiris finanzierte Bewegung bis in ihre Spitze hinein von der ägyptischen Staatssicherheit unterwandert war. Auch die 22 Millionen Anti-Mursi-Signaturen, die nie ein Unabhängiger mit eigenen Augen gesehen, geschweige denn zertifiziert hat, waren nur ein dreistes PR-Märchen.

Kleinlaut räumten die Dissidenten ein, in Wahrheit seien maximal 8,5 Millionen Petitionen zusammengekommen. Ein ähnliches Hirngespinst ist auch die bis heute kursierende Superzahl von 33 Millionen Anti-Mursi-Demonstranten am Vorabend des Militärputsches – ein Massenwunder, was sich nur Leute zusammen halluzinieren können, die als Schulkinder bei den vier Grundrechenarten nicht aufgepasst haben.

So lautstark die neuen Machthaber auch die Trommel rühren, ihre so genannte Zweite Revolution wird – anders als unablässig behauptet - nicht von der weit überwiegenden Mehrheit des Volkes getragen. Die Beteiligung am jüngsten Verfassungsreferendum fiel mit 38 Prozent relativ bescheiden aus, obwohl Ägyptens starker Mann, Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi, die Abstimmung sogar zum Plebiszit für seine geplante Präsidentschaftskandidatur umfunktioniert hatte.

Gummiparagraphen sind das neue Gesetz

Stattdessen geht der Riss durch die geplagte Nation immer tiefer, zumal sich Ägyptens Exekutive keinerlei Hemmungen mehr auferlegt – bei Massenverhaftungen und Hausdurchsuchungen, bei systematischer Folter und Jungfrauentests. Denn die neue Verfassung hat alle Staatskräfte, die den Sturz von Mohammed Mursi organisiert haben, mit großzügiger Autonomie belohnt.

Militär, Justiz und Polizei können praktisch ohne zivile Aufsicht schalten und walten. Alle ihre Protagonisten eint die gleiche Mentalität und das gleiche Misstrauen gegen Muslimbrüder, Demokratieaktivisten und jegliche Andersdenkende - begleitet vom schamlosen Jagdgebrüll der ägyptischen Medienmeute.

Spionage für das Ausland, Mitglied in einer Terrorgruppe, Verbreitung falscher Nachrichten, Gefährdung der inneren Sicherheit, Beleidigung der Justiz – jeder dieser Gummiparagraphen wird genutzt, um Kritiker mundtot zu machen und hinter Gitter zu bringen.

Auf Megascheck folgt Massenrücktritt

Und trotzdem schwant immer mehr Ägyptern, dass die neuen Herren bei den vertrackten Problemen kaum mehr zu bieten haben, als ihre mit Gewalt entthronten Vorgänger. Streiks breiten sich aus wie Flächenbrände. Der Tourismus liegt am Boden.

Armeechef al-Sissi jedoch, der sich zu Mursis Nachfolger akklamieren lassen will, reist ungerührt nach Russland, mit der Kreditkarte des saudischen Königs Abdullah im Gepäck, um Kampfbomber und Luftabwehrsysteme im Wert von zwei Milliarden Dollar zu ordern - alles Waffen, die im tatsächlichen Terrorkrieg mit Sinais Al-Qaida-Kämpfern ungeeignet sind. Kein Wunder, dass Ägyptens Übergangsregierung, die sich nur dank der Megaschecks vom Golf über Wasser halten konnte, jetzt in Panik per Sammelrücktritt das Weite sucht.

Al-Sissis eingefleischte Verehrer beirrt das nicht. Sie huldigen weiter ihrem Wunderglauben und Retterkult, während das internationale Prestige Ägyptens immer mehr Schaden nimmt. Vor einem Jahr warnte Abdel Fattah al-Sissi, damals noch General, ohne einen Kompromiss zwischen Islamisten und Liberalen werde die Nation in einen dunklen Tunnel geraten.

Inzwischen zum Feldmarschall avanciert haben der 59-Jährige und seine Helferhelfer mit ihrem eisernen Feldzug gegen die andere Hälfte der Bevölkerung nun genau das gemacht – Ägypten in einen dunklen Tunnel hineinmanövriert.

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