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Barbara John, Tagesspiegel-Kolumnistin und frühere Ausländer-Beauftragte des Berliner Senats.

© dpa

Affäre um Sebastian Edathy: Keine harmlosen Ansichtskarten

Er habe keine Straftat begangen, sagt Sebastian Edathy. Wenn wir jedoch solche Bilder verharmlosen, können Porno-Unternehmer weiter ihr einträgliches Geschäft betreiben.

Was im Oktober 2013 mit Ermittlungen gegen einen Einzelnen begann, nämlich gegen den früheren langjährigen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (1998-2014),  weil er Filme mit nackten Jungs in Kanada gekauft hatte, hat sich inzwischen zu einer mittleren Regierungskrise entwickelt. Es mag ja für viele einen Reiz haben, politische Köpfe fallen oder zumindest wackeln zu sehen, doch ist das wirklich das einzig wichtige im Fall Edathy?

Müsste es nicht  an erster Stelle und mit allen Kräften darum gehen, die Geschäfte zwischen Verbrauchern und Herstellern von Kinderpornographie - minderschwere und schwere - zu stören, besser noch: zu zerstören, damit weniger Kinder missbraucht werden? Davon ist allerdings kaum etwas zu spüren. Im Gegenteil: Beständig ist in allen einschlägigen Berichten zu lesen, dass die von Edathy eingekauften und bezahlen Filme keine Straftat seien, also rechtlich unwichtig, belanglos. Dann folgen oft noch empörte Anmerkungen, warum es in diesem Nicht-Straftatbestand überhaupt zu Ermittlungen kommen konnte. 

Was geht hier vor? Im Endeffekt nicht mehr und nicht weniger als das unbeabsichtigte Verdrängen dessen, von Kinderporno-Ringe, Zulieferer und Konsumenten Kindern antun. Ist denn nicht glasklar, dass in diesem Markt die Produzenten zwar unterschiedliche „Ware“ anbieten - straffreie und strafbare. Doch die abgebildeten, missbrauchten  Jungen (ab fünf Jahren im kanadischen Fall) werden alle gleichermaßen  in Pornosumpf-Milieus gehalten.

Straffrei - nackte Kinder beim Spielen filmen

Je nach Bestellung  müssen sie heute für vorsichtige Kunden nur posieren, morgen schon für die härtere Gangart herhalten, den Geschlechtsakt, beides unter körperlichen und seelischen Qualen. Das kann zuhause bei den  Eltern sein, im Sommerlager, im Garten, in anrüchigen Saunen. Der kanadische Unternehmer, bei dem Edathy kaufte, ließ vorwiegend aus der Ukraine und in Rumänien anliefern. Die in Kanada ermittelnde Polizei sprach 2011 von unvorstellbar viel Bildmaterial, das, aufgehäuft, so hoch war wie eintausendfünfhundert  „CN Towers“. ( Der CN Tower ist  der 553 Meter hohe Fernsehturm in Toronto.) Darf man angesichts dieser Fakten so tun, als seien straffreie Abbildungen kinderschonende, harmlose Ansichtskarten?

Zwar schützte die betonte „harmlose“ Variante der Nacktbilder den prominenten Abgeordneten nicht vor dem politischen und sozialen Absturz. Dennoch: deren Bagatellisierung ist ein teuflisches Signal an die Pornoringe und ihre Kunden. Alle wissen nun, dass es nicht strafbar ist, nackte Kinder beim Spielen auf Film festzuhalten, auch dann nicht wenn „alles in Bezug zu den Genitalien“ (Jörg Fröhlich, Leiter der Staatsanwaltschaft in Hannover) betrieben wird.

Mit dieser Gewissheit können Porno-Unternehmer weiter das einträgliche Geschäft betreiben. Und jeder weiß: Solange dort straffreie Bilder gemacht werden, gibt es auch weiterhin Kinder, die zu allem anderen ebenfalls zur Verfügung stehen müssen. Der ehemalige Abgeordnete ist kein Pädokrimineller. Zu Recht will er sich von diesem Verdacht befreien. Doch täte er nicht besser daran, sich deshalb auch von seinem „legalen Material“ zu distanzieren, statt es zu verteidigen?

Die Autorin war viele Jahre lang Ausländerbeauftragte des Berliner Senats.

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