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Meinung: Afghanistan: Auf Zeit gespielt

Die muslimisch geprägte Stammeskultur Afghanistans ist eine Kultur der Höflichkeit. Zwar gehen sich die Clans auch schon mal gegenseitig an die Gurgel.

Die muslimisch geprägte Stammeskultur Afghanistans ist eine Kultur der Höflichkeit. Zwar gehen sich die Clans auch schon mal gegenseitig an die Gurgel. Aber: Ein Gast ist ein Gast - und den kann man nicht einfach ausliefern, besonders wenn ihm in den USA die Todesstrafe droht. Das Gastrecht kann jedoch auch durch den Beherbergten missbraucht werden. Und so hat die Erklärung der afghanischen Ältesten und Rechtsgelehrten zu Osama bin Laden ein wenig absurde Züge. Man wolle sich um eine "freiwillige Ausreise" des Top-Terroristen bemühen, heißt es aus der Versammlung. "Bitte greift nicht an und habt Geduld!", ist die flehentliche Botschaft an Amerika.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Umfrage: Haben Sie Angst vor den Folgen des Attentats? Fotos: Die Ereignisse seit dem 11. September in Bildern Fahndung: Der Stand der Ermittlungen Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Mit ihrem Ratschluss, der in die Form einer "Fatwa" gekleidet ist, eines auf der Grundlage muslimischen Rechts erstellten Gutachtens, hoffen die Führer Afghanistans einem drohenden Militärschlag der USA zu entkommen. Allein: Dafür ist diese Erklärung allzu dünn. Zudem werden die wenigen Zugeständnisse von unverhohlener Feindseligkeit begleitet. Wenn Afghanistan attackiert werde, solle den Angreifern der heilige Krieg erklärt werden. So erhält die Bitte einen agressiven Unterton: Für den Fall einer Strafaktion wird allen daran Beteiligten mit Terror gedroht.

In den letzten Tagen kursierten Gerüchte, wonach die Taliban bereit seien, Osama bin Laden nicht an die USA, aber an eine neutrale Gerichtsbarkeit auszuliefern. Solch eine Entscheidung brächte die Anti-Terror-Koalition in Schwierigkeiten. Wenn die Taliban sich so kooperationsbereit geben, wäre eine Militäraktion in dem ohnehin zerstörten Land schwer zu vermitteln. Doch von Auslieferung ist nun keine Rede mehr. Die Vereinten Nationen und die Islamische Konferenz werden nur aufgerufen, die Terrorvorwürfe gegen bin Laden zu untersuchen. Ein durchsichtiges Manöver, um Zeit zu gewinnen.

Die Taliban spekulieren, dass eine Militäraktion ab Ende Oktober durch die schlechten Witterungsverhältnisse in den afghanischen Bergen unmöglich gemacht wird. Doch mit dieser Fatwa haben sie nur eines wahrscheinlicher gemacht: einen baldigen Angriff auf Stellungen der Taliban.

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