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Afghanistan: Der eine und der andere Krieg

In Afghanistan werden zwei Kriege geführt: einer, in den deutsche Soldaten vom Bundestag mehrfach mit großen Mehrheiten geschickt wurden und ein zweiter, in dem blutig gegen einen an keine Haager Landkriegsordnung gebundenen anonymen Gegner gekämpft wird.

Wir haben einen schneidigen Bundesminister der Verteidigung und eine schnelle Bundesregierung. Als letzte Woche durch Wikileaks die geheimen Unterlagen über den Afghanistankrieg ins Netz gestellt wurden, wusste Guttenbergs Ministerium gleich, dass nichts Sensationelles darin zu finden sein wird. Und als Abgeordnete und Journalisten auf Details hinwiesen, die ihnen in der Tragweite nicht präsent gewesen seien, meinte Karl-Theodor zu Guttenberg süffisant, man habe das sehr wohl wissen können, hätte man nur richtig aufgepasst. Gestern nun kommentierte der Sprecher der Bundesregierung die jüngsten Äußerungen des Isaf-Oberkommandierenden in Afghanistan, Petraeus, mit dem Satz, es gebe keine neue Bundeswehrstrategie und damit selbstverständlich auch keine gezielten Tötungen durch deutsche Soldaten.

David Petraeus, der Nachfolger des vorlauten Stanley McChrystal, hatte seine Soldaten, frei übersetzt, aufgefordert, ihre Zähne ins Fleisch der Aufständischen zu schlagen. Weniger martialisch könnte man das englische „get your teeth into the insurgents“ auch als „verbeißt euch in den Aufständischen“ deuten. Wie auch immer: Die Rede der Generals war knallhart, kein Bundeswehrgeneral hätte jemals so gesprochen, und sie richtete sich an alle Streitkräfte der Isaf in Afghanistan – auch an die 4600 Bundeswehrsoldaten. Dass die Aufforderung „Findet und eliminiert diejenigen, die die Bevölkerung bedrohen“ nur für US-Truppen gelte, hat Petraeus nicht gesagt. Es ist kein Geheimnis, dass die Amerikaner verstärkt auf „target killing“ setzen, die gezielte Tötung von Taliban- und Qaidaführern, wenn man sie denn nicht gefangen nehmen kann. 130 Verdächtige von einer Liste mit 3000 Namen fielen entsprechenden Befehlen in fünf Monaten zum Opfer. 13 der Namen kamen offenbar durch deutsches Zutun auf die Liste.

Sich darüber moralisch zu erheben, ist einfach, wenn man nicht vor Ort die Entscheidung fällen muss, ob man einen Talibanführer unter hohem Risiko für die eigenen Soldaten aufspüren und vielleicht gefangen nehmen lässt oder ob man ihn gezielt, zum Beispiel durch eine Drohne oder eine Rakete, tötet. Die meisten Völkerrechtsexperten, auch solche, die bei den Grünen gehört werden, halten das target killing für zulässig.

Ob wir weiter glauben sollen und dürfen, dass solche Tötungen nur durch amerikanische Spezialkräfte und nicht auch durch die deutsche „Task Force 47“ ausgeführt werden, muss jeder für sich entscheiden. Die deutsche Öffentlichkeit hat in den vergangenen zwölf Monaten über die wahre Natur des Afghanistankrieges viel gelernt. Die größere Realitätsnähe des neuen Verteidigungsministers hat dazu genauso beigetragen wie die auf eine deutsche Einsatzforderung hin erfolgte Bombardierung von Tankfahrzeugen bei Kundus mit vielen Toten. Aber erst die Indiskretionen von Wikileaks und die Leitlinien von General Petraeus für die Truppe haben deutlich und für jedermann unübersehbar gemacht, dass in Afghanistan zwei Kriege geführt werden: einer, in den deutsche Soldaten vom Bundestag mehrfach mit großen Mehrheiten geschickt wurden und von dem uns erzählt wurde, er diene vor allem der Befriedung einer Region im Norden Afghanistans. Daneben ein zweiter, in dem blutig gegen einen an keine Haager Landkriegsordnung gebundenen anonymen Gegner gekämpft wird, ein Krieg, in dem zwischen Freund und Feind kaum zu unterscheiden ist und in dem ein vermeintlich mit dem Westen verbündetes Land wie Pakistan ein doppeltes Spiel treibt.

Dieser zweite Krieg, vom ersten kaum zu trennen, ist der wirkliche Afghanistankrieg. Der, in dem Amerikaner den Oberbefehl und auch im von einem deutschen Offizier kommandierten Norden letzte Entscheidungen haben und in dem alle anderen vor allem für Infrastruktur zuständig sind. Ein Krieg, der – vermutlich – geführt werden muss. Nur wenn, dann kaum durch eine von der Wehrpflicht getragene Truppe, sondern durch eine Berufsarmee. Auch über deren Einsatz kann das Parlament entscheiden. Aber in Kenntnis der ganzen Wahrheit.

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