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Afghanistan: Hilfe zur Selbsthilfe

Die Eliten Afghanistans müssen endlich selbst zur Stabilisierung ihres Landes beitragen

Die Lage in Afghanistan entwickelt sich bedenklich. Es gibt Gründe genug, warum es Amerika und Europa nur so begrenzt gelingt, die Köpfe und Herzen der Afghanen zu gewinnen. An Analysen, was der Westen falsch macht, mangelt es nicht. Die umgekehrte Frage wird zu selten gestellt: Tragen die Regierung und die Eliten Afghanistans ihren Teil zur Stabilisierung bei? In erster Linie wäre es ja deren Aufgabe, die Köpfe und Herzen ihrer Landsleute zu gewinnen und sie zu überzeugen, warum sie die wünschenswerte Alternative zur Herrschaft der Taliban sind. Der Westen ist nur dort, um ihnen dabei zu helfen,

Das Weiße Haus hat endlich ausgesprochen, dass die USA nicht bedingungslos bereit sind, Soldaten und Steuergelder zu opfern. Solange Präsident Hamid Karsai und seine Opponenten nicht die Krise lösen, die auf die schamlose Wahlfälschung folgte, wird Barack Obama keine Entscheidung über eine Truppenverstärkung treffen.

Gewiss, damit macht er aus der Not eine Tugend. Seine Regierung ist, erstens, gespalten in der Frage, ob mehr Soldaten gebraucht werden, wie General McCrystal fordert, oder ob eine kleinere Truppe eher zum Frieden führt, wie Vizepräsident Joe Biden meint. Die Afghanen sollen sich nicht unter Besatzung fühlen, weil das dem Widerstand neue Kämpfer zuführt. Diese Debatte hält noch an.

Zweitens steht der Westen tatsächlich ein wenig hilflos vor der Frage, wie er auf die empörende Wahlmanipulation und die verbreitete Korruption reagieren soll. Europa geht es da nicht besser als den USA. Kann man wirklich mit dem Entzug der Hilfe drohen – und wäre das glaubwürdig?

In Afghanistan hat sich dasselbe Abhängigkeitsmuster entwickelt wie in Bosnien, im Kosovo oder im Irak. Nach dem Sturz der Diktatur geben die nationalen Eliten die Verantwortung für das Gemeinwohl bei den jeweiligen westlichen Hilfsmächten ab, verfolgen ihre Partikularinteressen und bereichern sich an der Aufbauhilfe. Sie erpressen den Westen mit der Drohung, er könne es sich gar nicht erlauben, abzuziehen. Denn dann stürze das Land ins Chaos, und das bedeute die Rückkehr einer nicht hinnehmbaren Bedrohung. Sie drängen den Westen in die Rolle einer Kolonialmacht, wollen jedoch nicht wie eine Kolonie behandelt werden, wenn es um die Machtfrage geht. Auch Europa sollte das nicht länger hinnehmen. Minimalanforderungen an Demokratie und Rechtsstaat muss auch Karsai erfüllen.

Man kann diskutieren, ob eine zweite Wahlrunde nötig ist oder ob die Legitimierung durch einen unzweifelhaften Mehrheitswillen auch erfüllt wäre, wenn Karsai und der Zweitplatzierte, Abdullah, die Macht teilen. Gemeinsam haben sie rund 70 Prozent der Stimmen. Aber die Erpressung muss ein Ende haben. Der Westen kann sich die Eliten, die er dort bräuchte, zwar nicht backen. Aber umgekehrt gilt auch: Wer Hilfe will, muss sie sich durch eigene Anstrengungen glaubwürdig verdienen. Ohne Selbsthilfe kann die Stabilisierung nicht gelingen. Wenn das Ziel unerreichbar wird, haben die Opfer keinen Sinn mehr.

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