zum Hauptinhalt

Meinung: Afghanistan: Sie kommen zu sich

Es war einmal ein Land, in dem herrschte die nackte Gewalt: Menschen hungerten, Musik war verboten, Frauen durften weder ihr Gesicht zeigen noch in die Schule gehen, in Fußballstadien richteten die religiösen Machthaber ihre Gegner hin. Aber der Westen interessierte sich nicht groß für die Region - bis am 11.

Von Hans Monath

Es war einmal ein Land, in dem herrschte die nackte Gewalt: Menschen hungerten, Musik war verboten, Frauen durften weder ihr Gesicht zeigen noch in die Schule gehen, in Fußballstadien richteten die religiösen Machthaber ihre Gegner hin. Aber der Westen interessierte sich nicht groß für die Region - bis am 11. September Terroristen das Schicksal Afghanistans mit dem Amerikas und seiner Alliierten verbanden. Seither schaut die ganze Welt nach Afghanistan. Und sie handelt auch.

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror Afghanistan: Wege jenseits der Bomben Bundeswehr-Einsatz: Deutschland und der Krieg Fotostrecke: Krieg in Afghanistan In kaum glaublichem Tempo hat sich seither das Los des Landes gewendet. Nur zwölf Wochen nach den Anschlägen von New York und Washington winkt den Menschen Afghanistans plötzlich eine bessere Zukunft. Mit dem gestern unterzeichneten Petersberger Abkommen ist zumindest die Grundlage dafür geschaffen, dass die verschiedenen Völker Afghanistans künftig ihre Heimat selbst regieren und wieder aufbauen können. Was vor drei Monaten noch undenkbar schien, ist nun vereinbart: Auch drei Frauen sollen dem Übergangskabinett angehören.

Unter Amerikas Führung hat sich die Allianz gegen den Terrorismus in Afghanistan eingemischt und damit eine Verantwortung übernommen, die sie so schnell nicht wieder los wird. Denn die neue Selbstständigkeit ist noch wacklig und braucht Begleitung - auch militärische Absicherung durch eine internationale Schutztruppe, an der sich nun auch Deutschland umfassend beteiligen will, wenn es nötig wird.

Das europäische Konzept, zu dem die deutsche Außenpolitik Wesentliches beigetragen hat, hat die militärischen Mittel immer nur als einen kleinen Teil einer umfassenden Anti-Terror-Strategie verstanden. Es ist auch jenseits der traditionell engen Verbindungen beider Länder kein Zufall, dass die Konferenz der Afghanen in Deutschland stattfand. Die Berliner Politik hat gemeinsam mit den UN viel für die politische Lösung getan. Versprochen hat Europa auch humanitäre Hilfe für die vielen Afghanen, die noch hungern, und wichtige Beiträge zum Wiederaufbau des Landes.

Auch an diesen Leistungen wird sich die Glaubwürdigkeit der Strategie gegen den Terrorismus messen lassen müssen. Europa kommt dabei eine ganz besondere Rolle zu: Die Vielfalt seiner Traditionen ermöglicht seinen Politikern vielleicht stärker als den Amerikanern das Gespräch mit anderen Kulturen. Viel spricht deshalb dafür, dass die Hilfe zur Selbsthilfe nun gelingt, nachdem sich in Afghanistan über Jahrzehnte fremde Machtinteressen ausgetobt hatten. Denn das Hauptinteresse Europas und der USA in Afghanistan lautet: eine stabile Regierung in einem stabilen Land.

Wer sich jetzt über den Aufbruch freut, sollte nicht vergessen, dass der Frieden, der möglich wird, ein Kind des Krieges ist. Anders als dessen Kritiker meinten, richtete sich die US-Strategie nie gegen das afghanische Volk. Auch der viel beschworene Aufstand der arabischen Massen droht nicht mehr, seit die Menschen in Kabul auf der Straße feiern. Aber erst die amerikanischen Bomben, die viele in Deutschland nur schwer ertragen konnten, haben die Taliban so geschwächt, dass die Nordallianz vorrücken konnte und weite Teile des Landes heute befreit sind.

Dabei hatten die USA ihren Kampf gegen den Terrorismus nicht mit dem Ziel begonnen, Afghanistan zu befreien. Die Taliban würden wahrscheinlich heute noch regieren, wenn sie bin Laden aus dem Land gewiesen hätten, wie das Washington verlangte. Aber es stärkt die - völkerrechtlich ohnehin nicht strittige - Legitimität dieses Krieges gegen den Terror, dass in seinem Verlauf Afghanistan die schreckliche Fremdherrschaft abschütteln konnte.

Noch wird gekämpft, noch sterben im Süden des Landes nicht nur Taliban-Kämpfer und Taliban-Gegner, sondern auch Zivilisten. Noch begeben sich auch amerikanische Soldaten in Lebensgefahr, um endlich bin Laden zu finden, den Drahtzieher der Anschläge vom 11. September. Auch darüber sollte sich angesichts der Hoffnung auf eine bessere Zukunft Afghanistans niemand täuschen, auch niemand in Deutschland: Selbst wenn das Land ganz befreit und bin Laden gefangen oder getötet ist, wird der Kampf gegen den Terror noch lange nicht zu Ende sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false