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Meinung: Aktenzeichen gelöscht Die Staatsanwälte prüfen Kohls Kanzleramt nicht länger

So lautet der Vorwurf: „Bundeslöschtage“. Das Wort besagt, dass beim Übergang von Kanzler Kohl zu Kanzler Schröder 15 Meter Akten vernichtet und „flächendeckend, zentral und heimlich“ zwei Drittel aller im Computer erfassten Daten, rund drei Gigabyte, gelöscht worden sein sollen.

So lautet der Vorwurf: „Bundeslöschtage“. Das Wort besagt, dass beim Übergang von Kanzler Kohl zu Kanzler Schröder 15 Meter Akten vernichtet und „flächendeckend, zentral und heimlich“ zwei Drittel aller im Computer erfassten Daten, rund drei Gigabyte, gelöscht worden sein sollen. Damit die Vorgänge um die Leuna-Privatisierung nicht aufgedeckt werden können, Schmiergeldzahlungen und Vertuschungen. Ungeheuerlich klingt das. Als sei Kohl nicht Regierungschef der Bundesrepublik gewesen, sondern Herrscher einer Bananenrepublik. Vehement ist der Altkanzler jedem Verdacht entgegengetreten. Jetzt hat ihm die Staatsanwaltschaft Recht gegeben.

Da ist eine Entschuldigung fällig, sagen Politiker von CDU und CSU. Eine des inzwischen SPD-geführten Kanzleramts, eine des Sonderermittlers Burkhard Hirsch, am besten aber eine des Kanzlers selbst. Wie sagt Friedbert Pflüger, der früher für den Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker gearbeitet hat und nicht gerade als „Kohlianer“ gilt? „Das ganze Kanzleramt muss sich bei Helmut Kohl entschuldigen. Und ich selber entschuldige mich auch.“ Der CDU-Abgeordnete Pflüger selbst hat die Akten- und Datenvernichtung in großem Umfang auch für möglich gehalten, wie viele von uns. Dieses Urteil war falsch. Was jetzt gilt: Kohl hat das Recht auf seiner Seite. Und das Recht, eine Entschuldigung zu verlangen.

Richtig ist, dass beim Regierungswechsel Akten vernichtet worden sind, auch Daten, aber nichts weist darauf hin, dass es diese Menge gewesen sein könnte. Fest steht: Sechs Unterlagen samt Kopien fehlen, außerdem sind Daten im Computer neu geordnet worden. Es waren niemals drei Gigabyte, und nicht einmal für einen Gigabyte gibt es einen Zeugen. Dass Sicherungsbänder fehlen, beweist noch nichts: Sie fehlen auch schon aus einem Jahr der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder.

Zwei Mal hat das Kanzleramt gegen eine Einstellung des Verfahrens interveniert, jetzt wirkt es desavouiert. Und Kohl wird nicht hinnehmen, wenn aus seiner Sicht ehrabschneidende Vorwürfe nicht von denen aus der Welt gebracht werden, die sie erhoben haben. Ob in einem Gespräch von Kanzler zu Kanzler oder in einem Brief, das ist nicht entscheidend; da handelt der Altkanzler nach seiner alten Maxime: Entscheidend ist, was hinten herauskommt.

Bleibt das Schröder-Kanzleramt allerdings bei seinen Vorwürfen, wird es mit der Durchsetzung der großen Kooperation, wie sie sich zwischen seinem Amtsnachfolger Schröder und seiner Parteinachfolgerin Angela Merkel anbahnt, noch schwieriger werden. Denn soviel Einfluss hat Kohl noch immer, dass Teile der Union sich dagegen sperren könnten; dafür sind die Forderungen nach Entschuldigung ja schon der erste Beleg.

Und was in diesem Fall Schröder trifft, trifft Merkel nicht minder. Denn auch bei ihr wird Kohl, der sehr nachtragend sein kann, nicht locker lassen, es geht schließlich – wieder einmal – um seinen Begriff von Ehre. Erreicht Merkel beim amtierenden Kanzler nichts, droht ihr, dass sie in anderen Fragen auch beim Altkanzler wenig erreicht. Aber sein Entgegenkommen wird sie wahrscheinlich noch benötigen, zum Beispiel in der Präsidentenfrage. Und die muss Merkel einvernehmlich lösen, wenn sie nach Schröder ins Kanzleramt einziehen will.

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