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Alexander S. Kekulé: Freibrief für Sterbehelfer?

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom vergangenen Freitag wird als Meilenstein der Rechtsprechung in Sachen Sterbehilfe gefeiert, noch bevor die schriftliche Begründung vorliegt. In Wahrheit sind viele Fragen offen.

In Karlsruhe ging es um den Fall des Rechtsanwaltes Wolfgang Putz, der vom Landgericht Fulda wegen versuchten Totschlags verurteilt worden war. Der prominente Medizinrechtler vertrat im Jahr 2007 eine Mandantin, deren 77-jährige Mutter wegen einer Hirnblutung fünf Jahre im Koma gelegen hatte. Die als gesetzliche „Betreuerin“ für die Vertretung ihrer Mutter eingesetzte Mandantin hatte gemeinsam mit dem behandelnden Arzt beschlossen, die künstliche Ernährung einzustellen und die unheilbar Kranke sterben zu lassen. Doch das Pflegeheim, in dem die Patientin lag, ordnete drei Tage vor Weihnachten eine Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung mittels Magensonde an. Die verzweifelte Tochter der Patientin rief ihren Anwalt an. Der gab ihr einen pragmatischen Ratschlag, der Rechtsgeschichte schreiben sollte: Sie solle den Ernährungsschlauch kurzerhand selbst abschneiden. Doch das Pflegepersonal bemerkte den Coup, ließ eine neue Sonde legen und alarmierte die Polizei.

Dass der BGH das Urteil des Landgerichts nun aufgehoben hat, ist keine Überraschung. Die Ansicht der Fuldaer Richter, es habe sich um „aktive Sterbehilfe“ gehandelt, weil Putz’ Mandantin aktiv einen Schlauch durchtrennte, war reichlich abwegig. Eine (als Totschlag strafbare) aktive Sterbehilfe liegt nur dann vor, wenn der Tod nicht bei natürlichem Verlauf der Dinge von selbst eingetreten wäre. Der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung ist dagegen „passive Sterbehilfe“, egal ob dabei ein Gerät abgeschaltet, eine Infusion nicht verlängert oder ein Schlauch zerschnitten wird. Der Fall war so eindeutig, dass sogar die Staatsanwaltschaft beim BGH auf Freispruch plädierte.

Die Bedeutung der passiven Sterbehilfe ist durch das neue Patientenverfügungsgesetz erheblich gestiegen. Der hinterlegte Patientenwille gilt unabhängig vom Alter und der Schwere der Erkrankung: Ärzte müssen auch einen jungen Menschen mit guten Heilungsaussichten sterben lassen, sofern dieser bei der Verfassung der Patientenverfügung „einwilligungsfähig“ war und die konkrete lebensrettende Therapie ablehnte. Das Recht, das für halbtote Komapatienten und unheilbar Krebskranke gemacht wurde, können auch 18-Jährige in Anspruch nehmen, die partout keine Antibiotika nehmen oder aus Liebeskummer sterben wollen.

In solchen moralischen Grenzsituationen bleibt den Ärzten nichts übrig, als die „Einwilligungsfähigkeit“ des Patienten zu prüfen. Voraussetzung ist, dass der Patient die Folgen einer medizinischen Maßnahme geistig erfassen und seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen konnte. Je weniger nachvollziehbar der Wunsch eines Patienten, desto eher wird der Arzt von einer Einschränkung der Einwilligungsfähigkeit ausgehen. In der Praxis wird der der Arzt nicht selten als moralisches Korrektiv des Patientenwillens tätig.

Dass Putz und seine Mandantin straffrei ausgehen, hat deshalb einen problematischen Beigeschmack. Das Patientenverfügungsgesetz schreibt die Einschaltung des Gerichts vor, wenn sich Betreuer und Arzt nicht einigen können. Im aktuellen Fall wäre es, nach fünf Jahren Koma, auf einige Tage bis zur Gerichtsentscheidung nicht angekommen. Dass Angehörige und Anwälte eigenmächtig in die ärztliche Behandlung eingreifen und den Tod eines Patienten herbeiführen dürfen, kann nicht im Sinne des Gesetzes sein.

Es muss deshalb geklärt werden, ob derartige Alleingänge noch straffrei im Sinne der „passiven Sterbehilfe“ sind. Auch bezüglich des Straftatbestandes der unterlassenen Hilfeleistung ist die Rechtslage klärungsbedürftig. Man darf auf das schriftliche Urteil aus Karlsruhe gespannt sein.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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