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Alexander S. Kekulé: Strahlende Post für Russland

Während die Demonstranten in Gorleben ihre Zelte abbauen, plant die Bundesregierung einen viel heikleren Atomtransport: Bombenfähiges Uran soll in Russland entsorgt werden. Doch der sächsische Atommüll muss in Deutschland bleiben.

Die Wiedervereinigung bescherte dem Freistaat Sachsen ein strahlendes Problem. Der 1957 von den Sowjets spendierte Reaktor Dresden-Rossendorf, einst „Zentrale Kerntechnische Forschungseinrichtung“ und ganzer Stolz der DDR, erfüllte die neuen Sicherheitsstandards nicht und musste stillgelegt werden. Ab 1999 lagerten die Brennstäbe in speziellen Castor-Behältern. Doch auch die Lagerhalle in Rossendorf war zu unsicher und für einen Umbau fehlte das Geld. Also mieteten die findigen Sachsen eine Halle im zentralen Zwischenlager Ahaus. Dort im fernen Münsterland schmort die DDR-Altlast seit fünf Jahren vor sich hin, gemeinsam mit rund 320 westdeutschen Reaktormüll-Behältern.

Doch was die offiziellen Inventarlisten verschweigen: Die 18 Castoren aus Rossendorf sind anders als alle anderen Atomfässer: Leistungsreaktoren von Kernkraftwerken sind nämlich auf Wärmeerzeugung optimiert und enthalten deshalb nur niedrig angereicherten Kernbrennstoff mit einem Anteil von etwa vier Prozent des spaltbaren Isotops Uran-235. Im Gegensatz dazu sollen Forschungsreaktoren möglichst viele energiereiche Neutronen erzeugen, mit denen physikalische Reaktionen untersucht oder andere radioaktive Isotope hergestellt werden können. Deshalb arbeiten viele Forschungsreaktoren mit hoch angereichertem Uran (highly enriched uranium, HEU), das definitionsgemäß über 20 Prozent Uran-235 enthält und für die Herstellung von Atombomben geeignet ist.

Der Rossendorfer Reaktor vom sowjetischen Bautyp WWR-S wurde mit 36 Prozent Uran-235 betrieben. Obendrein erreichten die 951 Brennstäbe des DDR- Schmuckstücks mit 34 Betriebsjahren ein geradezu biblisches Alter. Weil die Konzentration des radioaktiven Materials mit der Einsatzzeit im Reaktor steigt, hat das sächsische HEU eine besonders hohe Aktivität. Es muss deshalb in einer separaten Halle gelagert werden.

Um sich die Miete in Ahaus zu sparen, ist den findigen Sachsen nun eine neue Idee gekommen. Weil HEU potenzieller Bombenstoff ist, fällt es unter das „Russian Research Reactor Fuel Return Program“, mit dem die Proliferation von Atomwaffen verhindert werden soll. Die internationale Atombehörde (IAEO) und die USA hatten 2004 das Programm initiiert, um zu verhindern, dass hochangereichertes Uran aus ehemals sowjetischer Produktion in falsche Hände gerät. Der Bombenstoff wird in der russischen Wiederaufbereitungsanlage Majak zu Plutonium und niedrig angereichertem Kernbrennstoff verarbeitet.

Das wie eine Festung gesicherte Zwischenlager Ahaus gehört allerdings nicht gerade zu den Orten der Erde, an denen HEU besonders leicht in die Hand von Terroristen geraten kann. Darüber hinaus entspricht die Wiederaufbereitungsanlage Majak keineswegs europäischen Sicherheitsstandards. Das Gebiet um die ehemalige Atombombenfabrik der UdSSR ist für Jahrtausende radioaktiv belastet. Umweltschützer befürchten, dass durch Waldbrände und Austrocknung verseuchter Seen riesige Mengen Radioaktivität in die Atmosphäre gelangen können. 2003 entzog die lokale Atomaufsicht der Anlage sogar vorübergehend die Betriebserlaubnis. 2005 wurde Majak-Direktor Vitali Sadownikow angeklagt, weil er weiterhin strahlende Abfälle in den Fluss Tetscha einleiten ließ – eine Amnestie aus Moskau verhinderte allerdings einen Prozess.

Statt den Gratis-Abholservice der IAEO in Anspruch zu nehmen, muss Deutschland schnellstens ein Konzept für die Endlagerung von Atommüll entwickeln. Nach derzeitigem Erkundungsstand ist höchst unsicher, ob Gorleben geologisch geeignet ist. Ein multinationales Endlager im Osten Russlands, extraterritorial und unter direkter Aufsicht der IAEO, könnte durchaus eine Alternative sein. Die veraltete Anlage in Majak, die zwischen den Millionenstädten Jekaterinburg und Tscheljabinsk liegt und unter Aufsicht des Kreml steht, ist jedoch nicht geeignet. Dann ist es immer noch besser, wenn der Müll noch einige Jahre im Münsterland vor sich hin strahlt.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle. Foto: J. Peyer

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