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Meinung: Alles blieb, wie es war

Der 11. September hat die Grundkoordinaten deutschen Denkens und Handelns nicht verschoben

Angst, Fatalismus, Nostalgie – drei Stimmungen, die zwei Jahre nach dem Einbruch des Terrors in die anscheinend so friedensdividendenreiche Wohlstandswelt der 90er Jahre die Seelenlage der Deutschen dominieren. Angst: Djerba, Bali, tote Touristen. Fatalismus: Wir sind stets und überall verwundbar, und letztlich gibt es wenig, was der Einzelne dagegen tun kann. Nostalgie: Früher fühlten wir uns sicherer.

Nach dem 11. September haben viele Gesellschaften versucht, sich selbst zu vergewissern. Und dies tut man, indem man zurückgreift auf das, was man an politischen und mentalen Traditionen hat. Amerika entdeckt die Verantwortung für die große weite Welt neu. Heute sind weniger US-Bürger isolationistisch eingestellt als jemals zuvor seit 1947. Großbritanniens Führung suchte nach der Erschütterung durch den Terror den engen Schulterschluss mit den USA – auch dies ein altes Erfolgsrezept der britischen Nationalgeschichte. Und Deutschland?

Die ersten Jahre unter Schröder brachten eine fast sensationelle Entwicklung. Deutschlands Linke, zumindest der staatstragende Teil von Rot-Grün, versöhnte sich mit einer realistischen Außenpolitik. Das Ergebnis war die Teilnahme am Kosovo-Krieg. Nach dem 11. September wurde diese Linie zunächst in Afghanistan verlängert, doch dann kam ein Schwenk. Denn hinter Schröders innenpolitisch geprägtem Irak-Kurs stand etwas Größeres, eben eine Selbst-Vergewisserung in Traditionen. Nämlich der Tradition einer Außenpolitik, die von Moral und Völkerrecht geleitet wird, nicht aber von Realismus und nach außen gerichtetem Interessenkalkül.

Deutschland ist seit dem 11. September 2001 europäischer geworden, anti-amerikanischer, gaullistischer. Dieselbe Studie unter 8000 Bürgern der USA und Europas, die für Amerika das Ende des Isolationismus diagnostizierte, wies auch für die Bundesrepublik Erstaunliches aus. 81 Prozent der Deutschen sagen heute, Brüssel sei für die zentralen Interessen der Bundesrepublik wichtiger als Washington. Vor einem Jahr waren es nur 55 Prozent. Der German Marshall Fund hat diese Zahlen im Juni erhoben.

Vor zwei Jahren , vor dem 11. September sahen die Deutschen George W. Bush mit Vorbehalten. Kyoto, Raketenabwehr – das waren die Stichworte. Vor einem Jahr, nach dem Krieg gegen die Taliban, aber vor dem Feldzug gegen den Irak, lehnte die Mehrheit der Deutschen Bush ab. Schröder hat hiervon profitiert, er hat die Stimmung auch, dies sagen SPD-Politiker wie Hans-Ulrich Klose und Rudolf Scharping, bewusst verstärkt. Heute ist es keine Übertreibung, wenn man diagnostiziert: Die Mehrheit der Deutschen verachtet Bush. Jeder Blick in einen Buchladen bestätigt dies.

Was wird aus einem europäischen Land, wenn es von Amerika abrückt, zumindest von einem Amerika, das von einem Bush regiert wird? Es wird gaullistischer. Sowohl Schröder als auch Bundespräsident Rau haben 2002 und 2003 immer wieder mit der These kokettiert, Europa vertrete überlegene zivilisatorische Werte, die eine Opposition zu den USA nötig machten. Extrem Bush-kritisch, Amerika distanzierter gegenüberstehend, Europa näher – so sind die Deutschen, zwei Jahre nach den 3000 Toten von Manhattan, dem Pentagon und Pennsylvania.

Aber machen wir uns nichts vor. Hat der 11. September Deutschland tatsächlich verändert? Das Leben jener KSK-Soldaten, die im Südosten Afghanistans Al-Qaida-Kämpfer jagen, auf jeden Fall. Die offizielle Sicherheitsdoktrin der Bundeswehr, die unser Wohlbefinden nun am Hindukusch verteidigt und sich ganz auf Auslandseinsätze umorientiert, auch. Überwachung ist akzeptabler geworden, verspricht sie doch Sicherheit. Das Leben jener, die bei etlichen Anschlägen nach dem großen Terror Angehörige oder Freunde verloren, ist erschüttert. Aber der Normalbürger? Es fällt schwer, im 11. September 2001 etwas zu sehen, was über eine politische Zäsur hinausgeht. Die Grundkoordinaten deutschen Denkens und Handelns haben sich nicht verschoben. Sie haben sich eher selbst zu bestätigen versucht, indem sie sich ein wenig rückwärts wandten. Nichts mehr ist wie zuvor, alles ist neu: Dies waren Begriffe, die nach dem 11. September zirkulierten. Für Deutschland und die Deutschen beschreiben sie nur die halbe Wahrheit.

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