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Meinung: Am Ende von 2001: Ein Jahr ist mehr als ein Tag

Ja, es stimmt: Man kann sich gar nicht mehr erinnern, dass es in den achteinhalb Monaten vor dem 11. September - noch etwas anderes auf der Welt gegeben haben soll.

Ja, es stimmt: Man kann sich gar nicht mehr erinnern, dass es in den achteinhalb Monaten vor dem 11. September - noch etwas anderes auf der Welt gegeben haben soll. Ja, der 11. September war ein schwerer Einschnitt. Und doch: Unser aller Leben hat dieser Tag nicht verändert, es gibt keinen Grund anzunehmen, dass im kommenden Jahr nichts mehr so sein wird wie früher. Nicht einmal die vielgeschmähte Spaßgesellschaft ist wirklich am Ende, und wahrscheinlich ist auch das kein Unglück.

Unsere kleine Welt vor dem 11. September: Da gab es die erschütternde Gewalt von Polizisten und Globalisierungsgegnern in Genua; die erbitterte Debatte um die militante Vergangenheit von Joschka Fischer; die erdrutschartigen Verluste an den Börsen. Alles Ereignisse, die bewegten - und vor dem Schrecken verblassten, den die Anschläge vom 11. September verbreiteten. Wen und was sie treffen sollten, ist erschöpfend beschrieben worden. Als Kollateralschaden bedrohten sie auch eine schöne alte Welt im fernen Deutschland.

Zum Thema Jahresrücklick 2001: Bewegende Bilder eines außergewöhnlichen Jahres Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation, den Turbulenzen der Vereinigung, dem Abklingen apokalyptischer Zukunftsszenarien hatten wir uns gerade in einer Art Biedermeier eingerichtet, allerdings vor rot-grüner Fototapete und mit Fenster auf den Rest der Welt. Das ist auch gar nicht verwerflich: Wer sich einer unüberschaubaren und doch so nahe gerückten Welt stellen will, braucht auch das Gefühl von Zugehörigkeit und Geborgenheit. Und ab und zu die ungetrübte Freude am Feiern. Wer maßlos die Ausbreitung der Vergnügungsindustrie beklagt, soll bitte den Beweis antreten, dass die Menschen zu anderen Zeiten tiefsinniger, gebildeter und mündiger gewesen sind.

Die Anschläge der islamischen Fanatiker haben uns nicht nur deswegen in Mitleidenschaft gezogen, weil wir globalen Problemen eben in keiner Nische der Welt mehr entrinnen können. Sie fordern von uns die Besinnung auf eine Ordnung und ein Wertesystem, deren Vorzüge so selbstverständlich geworden sind, dass man glaubt, sie gar nicht mehr verteidigen zu müssen. Und sie lassen auch eine Frage anklingen, die neue Antworten verlangt: Wie verteidigt man eine Werteordnung, ohne das aufs Spiel zu setzen, was man eigentlich verteidigen möchte?

Natürlich werden die Folgen des 11. September auch 2002 zunächst die Nachrichten beherrschen, denn die militärischen Auseinandersetzungen werden anhalten, und deutsche Soldaten riskieren in Afghanistan bald Kopf und Kragen. Aber weil wir uns auch daran gewöhnen werden, haben die kleinen, großen Probleme in Kürze wieder die Oberhand: die Umstellung auf den Euro, die Wirtschaftskrise, die Bundestagswahl und dann noch die Frage aller Fragen: Schafft die deutsche Nationalelf bei der Fußballweltmeisterschaft den Sprung ins Achtelfinale? Nur ist der 11. September zu einschneidend, um ihn zu behandeln wie die Katastrophen der vergangenen Jahre, die wie Moden schnell vergessen sind.

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