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Meinung: Am Kap der kleinen Hoffnung

Südafrika ist der Vorzeigestaat des Schwarzen Kontinents. Nun treibt der Staatsdirigismus des ANC fähige Köpfe außer Landes

Als die Südafrikaner einst nach einem Werbespruch suchten, um mehr Urlauber ans Kap zu locken, entsannen sie sich der landschaftlichen Vielfalt ihrer Heimat – der Wüsten und Steppen, Berge, Regenwälder und Strände. So entstand der Slogan „Südafrika: die Welt in einem Land“. Die Republik am Kap der Guten Hoffnung präsentiert sich aber nicht nur topografisch als eine Miniaturausgabe der Erde: Wenn man die weißen Südafrikaner die Rolle spielen lässt, die im Weltmaßstab der Westen einnimmt, und den Schwarzen den Part der Dritten Welt überträgt, ist das Land auch sozioökonomisch ein Mikrokosmos. Auf der einen Seite Inseln des Wohlstands, auf der anderen ein Meer von Armut. Südafrikas Präsident Thabo Mbeki spricht deshalb gerne von zwei ganz unterschiedlichen Volkswirtschaften, von einem Haus mit zwei Etagen, dem die Treppe fehlt.

In diesem Sinne befindet sich Südafrika in einer einzigartigen Lage: Nirgendwo sonst zerschneidet die Trennlinie von Erster und Dritter Welt derart krass ein Land. Nirgendwo sonst leben Nord und Süd so eng beisammen. Mit dem Ende der Apartheid und dem Machtantritt einer von Schwarzen geführten Regierung ist die Kaprepublik politisch wie wirtschaftlich zu einem Versuchslabor geworden, von dessen Erfahrungen sich die Welt Anregungen zur Lösung vieler Probleme verspricht.

Zehn Jahre nach der politischen Gezeitenwende am Kap ist dieses Experiment nun einer ernsten Bewährungsprobe ausgesetzt. Die zweite und letzte Amtszeit des im April mit großer Mehrheit wiedergewählten Thabo Mbeki dürfte darüber Aufschluss geben, ob das mit so viel Hoffnung begonnene Experiment gelingt oder womöglich frühzeitig scheitert.

Der Kern dieser Herausforderung liegt in der Wirtschaftspolitik Südafrikas. Hatte der Afrikanische Nationalkongress (ANC) die Kaprepublik nach dem Zusammenbruch seiner Verbündeten im Ostblock zunächst aus einem Mangel an Alternativen weitgehend nach den Regeln der Marktwirtschaft regiert, scheint sein Präsident nun in Wort und Tat zu den sozialistischen Wurzeln der früheren Widerstandsbewegung zurückzukehren. Immer wieder hat Mbeki zuletzt einen stärkeren Einfluss des Staates in der Wirtschaft gefordert und gleichzeitig kritisiert, dass liberale westliche Demokratien den Individualismus so sehr betonen. Er hat offen seine Landministerin unterstützt, die vor dem Hintergrund eines beispiellosen Immobilienbooms am Kap laut über Beschränkungen für Ausländer nachdenkt, Land in Südafrika zu besitzen.

Entsprechend groß ist die Verunsicherung manch ausländischer Anleger. Immer öfter stellen einige die bange Frage, ob das eigene Weingut oder Wildreservat wirklich sicher ist. Mit dieser Diskussion hat der ANC jedenfalls den Anschein erweckt, nicht wirklich an Investitionen interessiert zu sein.

Der Grund für die abrupte Kehrtwende des Präsidenten liegt auf der Hand: Mbeki ist darüber enttäuscht, dass die Wirtschaft am Kap in den letzten zehn Jahren mit durchschnittlich kaum drei Prozent weniger stark als in vergleichbaren Schwellenländern gewachsen ist. Auch wurden kaum neue Jobs geschaffen. Im Gegenteil: Seitdem Südafrika wieder in die Weltwirtschaft integriert und damit erhöhtem Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist, gingen dem Land sogar Arbeitsplätze verloren.

Überhaupt ist die Zwischenbilanz der Regierung gemischt: Angesichts der Dominanz des ANC herrscht in Südafrika zwar eine hohe politische Stabilität – aber gleichzeitig auch eine beispiellose Gewaltkriminalität mit mehr als 20 000 Morden im Jahr. Und die Aids-Epidemie liegt wie ein Schatten auf dem Land. Mit rund fünf Millionen Infizierten hat die Kaprepublik eine der höchsten Raten der Welt, ohne dass die Regierung konsequent dagegen vorgehen würde.

Während sich der Tourismus und der von deutschen Konzernen getragene Autoexport positiv entwickelt haben, leidet die Industrie insgesamt unter der zunehmenden Regulierungswut des Staates. Obwohl in der groben Ausrichtung der ANC-Politik mit dem Nachdruck auf Schuldenabbau und niedrige Inflation keine grundsätzliche Wende erwartet wird, ist in Teilbereichen der Wirtschaft bereits ein markanter Linksruck spürbar: Erst kürzlich erließ die Regierung zum Beispiel ein neues Gesetz, mit dem sie die Preise von Medikamenten zu kontrollieren sucht. Daneben hat der ANC alle Privatisierungspläne für große Staatsunternehmen wie etwa der Fluglinie SAA ad acta gelegt.

Kein Wunder, dass seit Jahren mehr Fachkräfte das Land verlassen, als neue hinzukommen. Als Folge dieser Entwicklung sind inzwischen Tausende von Posten im Erziehungs- und Gesundheitswesen unbesetzt. Ebenso bedenklich ist, dass die langfristigen Auslandsinvestitionen zum Rinnsal geschrumpft sind. Doch genau diese Gelder braucht Südafrika wegen seiner niedrigen Sparquote, wenn es wie Asiens Tigerstaaten wirtschaftlich um mehr als fünf Prozent wachsen und seine Arbeitslosigkeit markant reduzieren will.

Der Hauptgrund für die Abwanderung und die Skepsis der Anleger liegt darin, dass der ANC, genau wie die weiße Minderheitsregierung zuvor, rassische Kriterien zum Maß aller Dinge erhoben hat. Im Jahr 2004 ist die Apartheid im Berufsleben nicht abgeschafft worden. Sie wird nur mit umgekehrtem Vorzeichen praktiziert. In fast allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen, selbst im Sport, ist rassische Nivellierung zum Trumpf erklärt worden, der alle anderen Rechte sticht – selbst die Gleichheit vor dem Gesetz.

Sicherlich gibt es angesichts der Apartheidpolitik und der dadurch bedingten Ungerechtigkeiten gute Gründe für gewisse Korrekturen durch den Staat. Sich am Kap allein auf die Marktkräfte zu verlassen, hieße, die Privilegien der Weißen festzuschreiben. Aber bei der Gesellschaftspolitik dreht sich die Diskussion derzeit allein um Quoten und Prozente anstatt um die Frage, ob die Eingriffe des Staates in ihrer gegenwärtigen Form wirklich den langfristigen Interessen des Landes dienen.

Immer deutlicher wird dabei, dass Präsident Mbeki und der ANC Südafrikas 44 Millionen Menschen nicht als Individuen mit je unterschiedlichen Talenten, Zielen und Träumen betrachtet, sondern als rassische Blöcke, die es zentral zu steuern gilt. Das Denken in solchen Schablonen offenbart sich in einer Flut von Gesetzen und Verordnungen, die Südafrikas ökonomische Spielregeln neu gestalten – vom öffentlichen Dienst bis zur Privatwirtschaft hat überall Rassenproporz zu herrschen. Allzu oft ist dabei nicht die Befähigung, sondern vor allem die Hautfarbe von Bedeutung. Dabei hat Südafrika beim Aufbau einer gerechteren Gesellschaft das Know-how der besser ausgebildeten Weißen bitter nötig. Gerade den Armen dürfte mehr daran gelegen sein, dass öffentliche Schulen und Krankenhäuser, dass Wirtschaft und Verwaltung funktionieren, und nicht, dass sie demografisch korrekt besetzt sind.

Im Zuge der vom ANC forcierten Politik des „Black Economic Empowerment“ (BEE), also des Transfers wirtschaftlicher Macht in schwarze Hände, ist nach Ansicht von Kritikern inzwischen eine Art von Kungelei legalisiert worden, die in den meisten anderen Teilen der Welt als Korruption gelten würde.

Zudem sind heute fast alle Unternehmen gezwungen, größere Aktienpakete an schwarze Investoren abzutreten. Dieser gesetzlich erzwungene Transfer von Aktienkapital wird von vielen Unternehmen als Strafsteuer empfunden, weil unklar ist, wie schwarze Investoren den Ankauf solcher Pakete finanzieren sollen. Sie erhalten die Anteile deshalb bisweilen zu Vorzugspreisen, was natürlich die Rechte und Gewinnerwartungen der bisherigen Kapitalgeber schädigt. Allerdings kommt es durch den Transfer von Papier noch lange nicht zur Schaffung von Mehrwert oder Jobs, wie sie das Land jetzt bräuchte. Dies erklärt auch, weshalb es bislang nicht gelungen ist, das Los der schwarzen Bevölkerung spürbar zu bessern.

Den 50 Prozent der Bevölkerung, die zu den schwachen Einkommensschichten gehören, geht es heute schlechter als 1994, dem Jahr, in dem der ANC die Macht übernahm. Natürlich haben ein paar Schwarze mit guten Kontakten in Politik und Wirtschaft profitiert und sind dabei in Rekordzeit märchenhaft reich geworden. Bei den Nutznießern handelt es sich fast ausnahmslos um Personen, die dem ANC eng verbunden sind und aus ihrer Nähe zur Regierungspartei Kapital schlagen konnten.

Viele Investoren sind zu höflich oder vorsichtig, die derzeitige Form des staatlich erzwungenen Vermögenstransfers in schwarze Hände offen anzuprangern, weil sie fürchten, als Rassisten oder Besitzstandswahrer diffamiert zu werden. Die meisten wissen jedoch: Wer in Südafrika Geschäfte machen will, muss einen Teil an die schwarze Elite abtreten. Gegenwärtig beträgt er in den meisten Industriesparten etwa 25 Prozent – Tendenz steigend. Niemand kann ausschließen, dass dieser Anteil später erhöht wird. Auch der gerade vorgelegte Entwurf einer Charta für die Landwirtschaft muss ob seiner extrem ehrgeizigen Vorgaben im besten Fall als realitätsfern gelten, sollen bis zum Jahr 2014 doch 50 Prozent des Landes in schwarze Hände gelangen.

Angesichts der vom Staat forcierten Umverteilung beunruhigt viele Investoren die ambivalente Haltung von Präsident Mbeki gegenüber seinem Amtskollegen Robert Mugabe in Simbabwe. Das Schweigen Südafrikas zur systematischen Demontage der dortigen Zivilgesellschaft und Wirtschaft ist ein ominöses Zeichen für die Zukunft der Kaprepublik und hat den ANC vor allem unter den Weißen viel Kredit gekostet.

Die schier endlose Nachsicht mit den Machthabern in Harare und den von ihnen begangenen schweren Menschenrechtsverstößen ist umso schwerer begreiflich, als der ANC das Vorgehen westlicher Regierungen, allen voran von Israel und den USA, in der Regel lautstark geißelt. Eine echte Diskussion darüber oder andere zentrale gesellschaftliche Fragen findet allenfalls in Ansätzen statt. Selbst die Geschäftswelt scheint einzig darauf bedacht, die Machthaber mit Kritik nicht vor den Kopf zu stoßen. Statt Fehlentwicklungen zu benennen, transferieren viele Unternehmen und Individuen ihr Vermögen still und leise ins Ausland – und gehen später selbst. Die offiziellen Zahlen sprechen von mehreren Zehntausend Spezialkräften, Zahnärzten, Maschinenbauern, Technikern und Managern, die in den letzten Jahren das Land verlassen haben. Da es sich hier um freiwillige Angaben handelt, dürfte die tatsächliche Zahl viel höher liegen.

Die Zuflucht der Regierung in staatlichen Interventionismus und rassische Erbsenzählerei dürfte die Probleme Südafrikas auf Dauer somit nur verschärfen. Im besten Fall wird die starke Hand des Staates die Armut zeitweise ein wenig mildern, indem man ein konjunkturelles Strohfeuer entfacht. Denn zumindest gegenwärtig verfügt der Staat weder über die Mittel noch die Kapazitäten zur Umsetzung seiner Pläne. Wahrscheinlicher ist, dass durch die zunehmende Intervention des Staates in allen Sphären eine Nation entsteht, die immer stärker am Tropf von Sozialhilfe und Subventionen hängt.

John Kane Berman, Direktor am Johannesburger Institute of Race Relations, ist überzeugt, dass sich Südafrika mit seiner neuen Wirtschaftspolitik immer mehr auf einen illiberalen Staat zubewegt, der die Gesellschaft gängelt und in ein enges Korsett von Quoten und Verordnungen presst, aber damit am Ende genauso wie die Apartheid scheitern wird. Statt auf eine graduelle Besserung der Verhältnisse hinzuarbeiten und sich in Geduld zu üben, bis mehr Schwarze in gehobene Stellungen nachrücken, will der ANC schnelle Abkürzungen nehmen, die den Erfolg des afrikanischen Vorzeigestaates auf lange Sicht gefährden könnten.

Eine langfristig angelegte Wirtschaftspolitik würde erkennen, dass Wohlstand und Prosperität einer Nation nicht auf staatlichem Dirigismus, sondern der Eigeninitiative seiner Menschen fußen, die durch ihren Arbeits- und Unternehmergeist erst den notwendigen Mehrwert schaffen. Europas Regierungen sind gerade dabei, dies zu realisieren und haben damit begonnen, ihren rigiden Arbeitsmarkt durch den Abbau von Kosten und Bürokratie aufzubrechen.

Es wäre fatal, wenn Südafrika als der einzige Industriestaat in Afrika und vielleicht letzte Hoffnung des Kontinents diese Lehre ignorieren und wie so viele andere gescheiterte Staaten die entgegengesetzte Richtung einschlagen würde.

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