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Meinung: Am letzten Stammtisch Von Hans Monath

Demokratien sind arm an Tabus. Deshalb taugt eigentlich fast alles, was Menschen hoffen lässt oder ängstigt, für Auseinandersetzungen im Wahlkampf.

Demokratien sind arm an Tabus. Deshalb taugt eigentlich fast alles, was Menschen hoffen lässt oder ängstigt, für Auseinandersetzungen im Wahlkampf. Der Bundestag wird aber erst in zwei Jahren neu gewählt. Trotzdem verkünden Unionspolitiker schon heute, sie wollten 2006 die Menschen mit dem Versprechen locken, eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU zu verhindern. Wenige Tage vor der Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen profilieren sich CDU und CSU mit Drohtönen in Richtung Ankara und Regierungskoalition. Will Angela Merkel die Regierung in Ankara so lange provozieren, bis die ihr wahres Gesicht zeigt? Ministerpräsident Erdogan keilte zwar aufgeregt zurück. Dass seine Regierung aber so nahe vor dem Ziel vollends die Contenance verliert, ist ähnlich unwahrscheinlich wie ein Erfolg der Union beim Versuch, noch die Haltung der Bundesregierung oder den Lauf der Verhandlungen zu ändern. Dafür fehlt es der Union schon an Partnern in der EU.

Also geht es den Konservativen nicht um Realpolitik, sondern um Stimmungen und Signale an das eigene Lager. Dabei berührt die Entscheidung den Kern der künftigen EU: Wiegen die strategischen Vorteile eines Beitritts so viel mehr als die Gefahr, dass Einheitlichkeit und Handlungsfähigkeit der EU auf der Strecke bleiben? Werden islamische Nationen die zwangssäkularisierte Türkei wirklich als strahlendes Modell für die Vereinbarkeit ihrer Religion mit den Werten des Westens akzeptieren? Haben die von Ankara in atemberaubenden Tempo vorangetriebenen Reformen wirklich ein verlässliches Fundament?

Wer aber die Beitrittsfrage mit den Reizthemen Kriminalität und Islamismus koppelt, wie die Union das nun in ihrem Bundestagsantrag zum Türkeibeitritt tut, der appelliert nur noch an die Urteilskraft des Stammtisches. Das Spielen mit Ressentiments könnte die Union aber bald in eine Zwickmühle bringen: Nur wer Opposition bleiben will, kann 2006 in der Türkeifrage ohne Rücksicht auf diplomatische Schäden weiterkeilen. Eine Union, die an ihren Wahlsieg glaubt, wird gegenüber Ankara staatsmännischer auftreten müssen. Als ob sie schon im Kanzleramt säße.

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