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Barack Obama ist wiedergewählt: Nach einem spannenden Wahlkampf besiegte er Herausforderer Mitt Romney im Rennen um das Weiße Haus.

© Reuters

Analyse zu Obamas Wiederwahl: Präsident einer gespaltenen Nation

Man muss froh sein, dass der Welt ein US-Präsident Mitt Romney erspart bleibt. Doch die Jahre im Oval Office haben Barack Obama einsamer, nüchterner, müde gemacht. In seiner zweiten Amtszeit wird er sich noch mehr als bisher auf Amerikas Eigeninteresse konzentrieren. Was erwartet Obama an Herausforderungen - und was bedeutet seine Wiederwahl für Europa?

Von Michael Schmidt

Sie haben gekämpft, gelitten, gestritten. Monatelang. Und bis zur letzten Sekunde. Das letzte Wort hatten die US-Bürger: Sie haben die wichtigste Wahl der Welt entschieden - und Barack Obama eine zweite Amtszeit im Weißen Haus beschert. Nach einem der spannendsten und teuersten Wahlkämpfe der US-Geschichte setzte sich der Amtsinhaber gegen Herausforderer Mitt Romney durch. Obama erhält vier weitere Jahre. Gut so. Oder? Europa, Deutschland, wo sich neun von zehn für Obama entschieden hätten, atmet erleichtert auf. Zu Recht? Das wird sich zeigen müssen.

Man muss froh sein, dass der Welt ein US-Präsident Mitt Romney erspart bleibt. Ein Mann, der während des Wahlkampfes ungefähr alle Positionen und auch ihr Gegenteil vertreten hat, ein Mann, der ein Billionen-Staatsdefizit mit Steuersenkungen und Mehrausgaben für Rüstungsprojekte bekämpfen wollte, der kann als intellektuell nicht satisfaktionsfähig gelten. Und schlimmer noch als der pragmatische Mormone präsentierte sich die republikanische Partei, deren Kandidat er war: eine radikalisierte, ideologisierte, sich in glaubenskriegerischen Grabenkämpfen ergehende Truppe mit einer auf Fundamentalopposition gebürsteten Tea Party.

Doch was ist jetzt von Obama zu erwarten? Schon einmal haben die Deutschen den ersten Schwarzen im Weißen Haus als Messias und Heilsbringer gefeiert. Er galt, nach acht George-W.-Bush-Jahren, als der europäischste, der westlichste Kandidat, als „einer von uns“. Vier Jahre und eine Reihe gebrochener Versprechen später ist klar: Das war ein Missverständnis.

Obama verkündete die Schließung des Militärlagers Guantánamo Bay - es ist bis heute in Betrieb. Er versprach eine Einwanderungsreform - und hat keine vorgelegt. Er wollte der Klimapräsident schlechthin werden - doch selbst die jüngste Katastrophe des Hurrikans „Sandy“ wird seiner Idee einer grünen Ökonomie kein neues Leben einhauchen. Und er, der Friedensnobelpreisträger, hat den Drohnenkrieg in Pakistan und Jemen, zwei Ländern, denen formal nie der Krieg erklärt wurde, massiv ausgeweitet. Sehr zum Verdruss einer kritischen Öffentlichkeit in Europa auch ist man trotz vollmundiger Ankündigungen einer atomwaffenfreien Welt keinen Schritt näher gekommen.

Nein, nach vier Jahren ist die Obamania vorbei, er gilt nurmehr als das kleinere Übel. Es ist an ihm, das Feuer neu zu entfachen.

Europa wird gut daran tun, eher früher als später zu begreifen, dass Obama in seiner zweiten Amtszeit sich noch weniger um den Lauf der Weltendinge, und noch mehr auf Amerikas Eigeninteresse konzentrieren wird.

Die US-Wirtschaft stagniert, die Schuldenlast der USA hat 16000 Milliarden Dollar überstiegen. Die Stimmung im Land ist mies, man ist kriegsmüde und mehr denn je mit sich selbst beschäftigt. Seine Wähler, ja seit heute vermutlich alle Amerikaner erwarten von Obama jetzt vor allem Jobs, Jobs, Jobs. Einen echten Spardeal. Und Ideen, um die Wirtschaft anzukurbeln, die Schulden abzubauen, den Staatshaushalt zu konsolidieren. That is, what it is all about.

Was bedeutet die Wiederwahl des europäischen Wunschkandidaten für die Alte Welt?

Außenpolitik spielte im Wahlkampf keine große Rolle. Und sie wird das angesichts der Agenda im Land der immensen Probleme wohl auch in Zukunft nicht tun. Als Führungsnation und Weltpolizist werden die USA zunächst einmal ausfallen. Amerika hat schon den Arabischen Frühling eher vom Spielfeldrand aus beobachtet, hat im Nahost-Konflikt keinerlei Initiative mehr angeschoben, das Verhältnis zu Russland und China ist schwierig. Insgesamt hat sich der Fokus in Richtung des pazifischen Raums verschoben. Europa ist nur noch ein Partner unter vielen. Bei weitem nicht der Wichtigste.

Was also bedeutetet Obamas Wiederwahl für Europa? Für ein Europa by the way, das den US-Wahlkampf mit einer bemerkenswerten Nonchalance ignoriert hat, die nahezu an Gleichgültigkeit grenzte (oder hat man hierzulande irgendwen gesehen oder gehört, der sich an die Seite Obamas gestellt hätte, als die Republikaner seine Politik „europäisch“ nannten - und das als Schimpfwort verstanden wissen wollten?). Europa wird, ob es will oder nicht, selbst mehr Verantwortung übernehmen müssen. Finanziell, sicherheitspolitisch, militärisch. Das wird hierzulande, wo man vor allem mit der EU-Schulden- und Finanzkrise beschäftigt ist, bisher kaum in seiner ganzen Tragweite begriffen.

Eine der spannendsten Fragen in den USA wird sein, welche Konsequenzen die Republikaner aus der Wahlniederlage ziehen. Setzen sich die ultrakonservativen Kräfte durch? Wird der Ton wieder konzilianter, freundlicher, verbindlicher? Nicht zuletzt von der künftigen Aufstellung der Partei wird abhängen, was Obama überhaupt erreichen kann. Ihm ist es bisher nicht gelungen, das ideologisch tief gespaltene Amerika zu einen.

Im Gegenteil. Das Land ist polarisierter, die Fronten sind verhärteter denn je, das System erscheint blockiert, erstarrt, eingefroren. Dies mag Obamas größte in einer Reihe großer Herausforderungen sein: Präsident wirklich Vereinigter Staaten von Amerika zu werden. Zumal nach der Wahl auch klar ist: Im Kongress wird es bei der alten Machtverteilung bleiben, nach der die Demokraten zwar den Senat beherrschen, aber die Republikaner das Abgeordnetenhaus. Mit anderen Worten: Obama mag in seiner zweiten Amtszeit, befreit vom Streben um eine Wiederwahl, freier agieren, im besten Sinne rücksichtsloser, aber die politische Blockade bleibt institutionell verankert.

Die Frage ist zudem, wie viel Mumm der US-Präsident noch hat - oder wieder entwickeln kann. Von dem angriffslustigen, dynamischen und charmanten Mann des Jahres 2008 ist auf den ersten Blick nur ein leicht ergrauter, milde lächelnder und erschöpfter Amtsinhaber geblieben. Die Jahre im Oval Office haben Obama einsamer, nüchterner, müde gemacht.

Der Präsident hat erkennen müssen, dass die Welt nicht so einfach gestrickt ist, wie sie gerade im US-Wahlkampf gemalt wird. Er hat nun das schwerste Amt der Welt zum zweiten Mal inne. Man möchte ihm wünschen, dass er jene Gestaltungsmacht zurückgewinnt, die dem Amt eigentlich zukommt, jene Herrschaftsrechte, von denen europäische Regierungschefs nur träumen können. Damit er einlösen kann, was er an Hoffnungen weckt: The best is yet to come.

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