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Meinung: Andacht im Reichstag

WO IST GOTT? Gott mit Dir, sagt man in Teilen unseres Landes, wenn man Menschen begegnet.

WO IST GOTT?

Gott mit Dir, sagt man in Teilen unseres Landes, wenn man Menschen begegnet. Gott mit Dir, das möchte man jedem wünschen. Nicht nur denen, die sonntags in die Kirche gehen. Gott mit Dir in den Büros und in den Produktionsstätten der Industrie, in den Verwaltungen und eben auch in der Politik.

Gott mit denen, die die politischen Rahmenbedingungen festlegen sollen, damit Menschen in unserem Lande und in anderen Teilen der Welt in Frieden leben können, damit sie ihr eigenes Leben, das Leben ihrer Familie und das ihrer Umgebung gestalten können aus eigener Kraft.

Als Christ in der Politik zu sein, das ist oft Grund zu Fragen. Wie vereinbart man das, an was man glaubt, mit dem alltäglichen politischen Geschäft? Wie bewältigt man politische Entscheidungen, ohne an einen Gott zu glauben?

Die meisten Abgeordneten machen sich ihre Entscheidungen nicht leicht. Da gibt es Stunden, in denen man mit dem eigenen Gewissen ringt, wo letztendlich nur das Gewissen entscheidet. Dürfen wir Forschung an embryonalen Stammzellen zulassen, wissend, dass wir dabei menschliches Leben in seiner frühesten Form zerstören, um möglicherweise später einmal Krankheiten Lebender heilen zu können? Werden wir eines Tages auch zulassen, wie in Holland und Belgien bereits geschehen, dass Ärzte ihren Patienten aktive Sterbehilfe geben? Was passiert, wenn diese Ärzte ein solches Vorgehen trotz bestehender Gesetze wiederum mit ihrem Gewissen, aber auch mit ihrem Glauben nicht vereinbaren können?

Einsätze unserer Bundeswehrsoldaten, junger Männer und Frauen mit Familien, die um sie bangen, gehören zu den schwierigen Entscheidungen. Welche Auswirkungen haben diese Einsätze in den Ländern, in denen sie stattfinden, auf die Menschen dort? Keine Entscheidung ist wie die vorherige. Neue Aspekte, gute und schlechte Erfahrungen aus den Folgen vorheriger Beschlüsse werden mit einbezogen. Das nimmt einen ganz in Anspruch. Da ist es gut, dass man in einer solchen Situation einen Andachtsraum im Bundestag weiß, der durch seine Stille und durch seine Gestaltung, durch die Harmonie der Farben für mich ein ganz besonderer Raum ist. Hier kann man sich ganz auf das Wesentliche konzentrieren, kann alles andere ausschalten und in Ruhe Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen, bis man glaubt, den richtigen Weg gefunden zu haben. Da ist Platz für ein Gebet. Da, aber nicht nur da, ist Gott auch im Deutschen Bundestag.

Vor ein paar Tagen war ich in Afghanistan. Ich habe die Menschen vor ihren zerstörten Häusern in Kabul noch vor Augen. Sie haben uns in den Fahrzeugen der Bundeswehr fröhlich lachend zugewinkt, weil unsere Soldaten ihnen Hoffnung auf dauerhaften Frieden und den Wiederaufbau ihres Landes geben. Diese Menschen, darunter viele Kinder, haben mir gezeigt, dass ich eine richtige Entscheidung getroffen habe in meinem Andachtsraum. Gott mit ihnen.

Die Autorin sitzt für die CDU im Bundestag, ist Mitglied des Verteidigungsausschusses und als Protestantin Mitglied der Kolping-Abgeordnetengruppe.

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