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Der Palästinenser Firas Maraghy während seines Hungerstreiks vor der israelischen Botschaft in Berlin.

© dpa

Berlin: Palästinenser hungert für das Leben

Der Palästinenser Firas Maraghy hungert seit dem 26. Juli vor der israelischen Botschaft in Berlin. Er hungert für etwas, was zum normalen Service des Konsulats eines normalen Staates gehören müsste. Ein Kommentar.

Als der Palästinenser Firas Maraghy am 26. Juli den Beginn seines Hungerstreiks vor der israelischen Botschaft in Berlin verkündete, war er ein unbekannter Mann. Nun hat die Situation eine dramatische Zuspitzung erreicht. Nach ärztlichen Erkenntnissen drohen bleibende Gesundheitsschäden. Jeder weitere Tag erhöht gar die Gefahr eines tödlichen Ausgangs. Inzwischen appellieren deutsche Politiker an die israelischen Behörden, ihren Ermessensspielraum zu nutzen und eine pragmatische Lösung herbeizuführen. Bislang ohne Erfolg.

Was Firas Maraghy will, ist nicht die Lösung des Nahostkonflikts. Er hungert für etwas, was zum normalen Service des Konsulats eines normalen Staates gehören müsste: die Eintragung seiner in Deutschland geborenen sechs Monate alten Tochter in sein Jerusalemer Reisedokument und die Anerkennung seiner Eheschließung mit der Deutschen Wiebke Diehl. Die israelische Botschaft erklärt sich für nicht zuständig und verweist auf das Innenministerium in Jerusalem. Denn Firas Maraghy ist Bewohner eines Jerusalemer Stadtteils, der von Israel widerrechtlich annektiert wurde, dessen arabische Bevölkerung aber gleichzeitig als Störfaktor empfunden und behandelt wird.

Der skeptische Mitteleuropäer mag sich – nicht ohne Fassungslosigkeit – fragen: Lohnt es sich wirklich, seinen Körper, ja vielleicht sein Leben für ein paar Stempel im Reisedokument einzusetzen?

Das Leben ist ein kostbares Gut. Firas Maraghy muss jetzt jede Stunde, die er weiter unter einem Baum vor der Botschaft verbringt, überlegen, wie weit er gehen will. Gar so weit, dass am Ende seine Tochter als Waisenkind und seine Frau als Witwe zurückbleiben?

Bei näherem Hinsehen erweisen sich die paar Stempel, um die es geht, nicht als eine Marginalie oder Folge vereinzelter bürokratischer Willkür. Es geht um eine hochpolitische Angelegenheit. Maraghy war ursprünglich nur ein Fall für die Statistik, allerdings einer von vielen, bei denen es darum geht, eine möglichst hohe Anzahl von Arabern aus dem Ostjerusalemer Einwohnerregister auszutragen. Jeder Palästinenser, der seinen Lebensmittelpunkt im Ausland gefunden hat, ist in diesem Kalkül ein guter Palästinenser. So wie Maraghy es zu sein schien. Am Ende soll ein Ostjerusalem stehen, in dem die Palästinenser eine Minderheit sind. Die Option, aus Ostjerusalem die Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates zu machen, wäre erledigt.

Dabei will Maraghy wirklich nichts anderes als die beiden Bescheinigungen, auf die er als Bewohner der seit Jahrzehnten annektierten Halbstadt Ostjerusalem Anspruch haben müsste. Im Ausland lebende jüdische Israelis können solchen Service bei ihrem Konsulat jederzeit in Anspruch nehmen. Er, als nichtjüdischer staatenloser Bewohner seiner Heimatstadt, muss für sie kämpfen.

Die offensichtliche Asymmetrie in der Behandlung von Menschen je nach Zugehörigkeit durch den israelischen Staat wird an einem anderen Beispiel deutlich: Jeder, der heute zur jüdischen Religion konvertiert, kann schon morgen nach Israel einwandern und sich dort problemlos als gleichberechtigter Bürger niederlassen. Jeder, der jüdisch ist, obwohl er nie in Israel lebte, einschließlich des Autors dieser Zeilen. Er kann später wieder ausreisen und nach Alaska, Berlin oder sonst wohin ziehen. Für Jahrzehnte oder fürs ganze Leben. Er und seine Familienangehörigen haben durch den kurzen Aufenthalt ein ewiges Aufenthaltsrecht für Israel erlangt, selbstverständlich auch für Jerusalem. Wieso aber muss Firas Maraghy, dessen Familie seit Generationen in Jerusalem ansässig ist, für dasselbe Recht zum Mittel des Hungerstreiks greifen?

Einige in Deutschland lebende jüdische Israelis und deutsche Juden fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, dass der „Zentralrat der Juden“, Frau Knobloch, Herr Graumann, Herr Kramer, ihr bisheriges Schweigen und Nichtstun beenden, um als Vertreter der wichtigsten deutschjüdischen Organisation ihr Scherflein dazu beizutragen, dass die israelischen Behörden über ihren Schatten springen, damit Maraghy und seine kleine Familie endlich wieder ein normales Leben führen können.

Zur Person:

Richard Szklorz ist Journalist und Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

Richard Szklorz

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