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Kolumnist Christoph Seils wirft die Frage auf, ob die Wulff-Affäre nicht insgesamt völlig neu bewertet werden muss.

© dpa

Bundespräsident a. D.: Rehabilitiert Christian Wulff!

Die Staatsanwaltschaft will das Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Bundespräsidenten Wulff einstellen, wenn dieser seine Schuld einräumt - wegen maximal 770 Euro. Das ist peinlich für die Justiz und wirft die Frage auf, ob die Wulff-Affäre nicht insgesamt völlig neu bewertet werden muss.

Dreizehn Monate ist es her, da trat Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurück. Zwar beteuerte dieser am 17. Februar 2012 im Schloss Bellevue noch einmal seine Unschuld, aber er sprach in seiner dreiminütigen Erklärung zugleich von beeinträchtigtem Vertrauen. Dies mache es ihm nicht mehr möglich, „das Amt des Bundespräsidenten nach innen und nach außen so wahrzunehmen, wie es notwendig ist“.

Es war ein unehrenhafter und unwürdiger Abschied. Am Tag zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, um gegen diesen wegen Vorteilsannahme ermitteln zu können. Diese Ankündigung kam nach der wochenlangen erregten öffentlichen Debatte über den Bundespräsidenten und seinen tatsächlichen und vermeintlichen Verfehlungen einer politischen Hinrichtung gleich. Christian Wulff blieb gar keine andere Wahl, als zurückzutreten.

Inzwischen scheint der Bundespräsident a. D. vergessen. Verdrängt sind die unrühmlichen Begleitumstände, die Christian Wulff letztendlich zum Rücktritt zwangen. Weder die fragwürdige Rolle der Medien, noch die unrühmliche Rolle der Politik in der Wulff-Affäre wurden bisher aufgearbeitet. Auch die üblen und ehrverletzenden Gerüchte über das Privatleben seiner Frau Bettina, die vor allem im Internet, aber nicht nur dort, verbreitet wurden, wirken nach. Weil der Nachfolger Joachim Gauck im Schloss Bellevue alles in allem eine recht gute Figur macht, erscheint Christian Wulffs Wirken im Rückblick im höchsten deutschen Staatsamt wie ein personeller und politischer Ausrutscher.

Zumindest die juristische Aufarbeitung der Vorwürfe gegen den ehemaligen Bundespräsidenten neigt sich nun dem Ende zu. Und plötzlich erscheint die Wulff-Affäre noch einmal in einem neuen Licht. Aus einem Konvolut an Vorwürfen und Verdächtigungen bleibt nach umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft offenbar nur noch ein Mini-Schuld übrig. Die Süddeutsche Zeitung  berichtet, es gehe in dem Verfahren nur noch um einen Betrag zwischen 400 und 770 Euro.

Beim Besuch des Oktoberfestes im Jahr 2008 soll der Filmproduzent David Groenewold für den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Hotelkosten in entsprechender Höhe übernommen haben. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft habe sich Wulff damit der Bestechlichkeit schuldig gemacht.

Weil die Staatsanwälte Wulff einen Prozess ersparen wollen, sind sie bereit, das Verfahren gegen eine Zahlung von 20000 Euro einzustellen; allerdings nur dann, wenn der Ex-Präsident zugleich eine „strafrechtliche Verantwortung“ übernehme, so schreibt die Süddeutsche Zeitung mit Verweis auf ein Schreiben der Staatsanwaltschaft. Zu deutsch: Wulff soll eine Schuld ohne Prozess von sich aus eingestehen.

Lächerlich ist das Angebot der Staatsanwaltschaft und rechtsstaatlich fragwürdig. Einerseits scheint es kaum vorstellbar, dass der Politiker Wulff seine politische und persönliche Integrität für ein Linsengericht verkauft hat.

Es hat in 64 Jahren Bundesrepublik schon schlechtere Bundespräsidenten gegeben.

Anderseits sind damit allerdings viele andere Vorwürfe vom Tisch. Wenn die Staatsanwaltschaft mit 24 Ermittlern trotz intensiver Nachforschungen, trotz zahlreicher Hausdurchsuchungen und trotz der Überprüfung von mehr als einer Millionen Computerdateien keine Beweise für einer Vorteilsannahme oder für Bestechlichkeit finden konnte, dann wäre es eigentlich konsequenter gewesen, das Ermittlungsverfahren ganz einzustellen. Die Liste der Vorwürfe war schließlich lang: Auf ihr standen zum Beispiel kostenlose Urlaube auf Sylt oder Italien, sowie etwaige politische Gegenleistungen. Die Rede war zudem von der Unterschlagung eines Preisgeldes oder von unberechtigten Begünstigungen bei der Finanzierung seines Hauskaufs.

Den Staatsanwälten geht es nun offenbar vor allem darum, ihr eigens Gesicht zu wahren. Sie haben Wulff mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens im vergangenen Jahr vorverurteilt. Denn auch sie wussten um die Konsequenzen, die Wulff ziehen würde. Um so sorgfältiger hätten sie im Vorfeld ihr Tun abwägen müssen und es zeigt sich einmal mehr, dass nur in der Theorie alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Der Bundespräsident ist eben nicht irgendwer, nicht irgend ein Verdächtiger, vor allem dann nicht, wenn er massiv in der öffentlichen Kritik steht. Ohne das Ermittlungsverfahren wäre Wulff möglicherweise nie zurückgetreten, sondern hätte die Affäre stattdessen ausgesessen.

Nun steht die Justiz mit leeren Händen da. Der Verdacht liegt nahe, dass die gescheiterten Ermittler mit ihrem Angebot vor allem sich selbst und nicht Wulff diesen Prozess ersparen wollen. Juristisch sind die Vorwürfe gegen Christian Wulff also fast vollständig in sich zusammengebrochen und damit stellt sich nun die Frage, welchen politischen und persönlichen Vorwürfen muss er sich jetzt stellen?

Ganz einfach lässt sich diese Frage nicht beantworten. Natürlich ist Christian Wulff politisch nicht frei von jeder Schuld. Er hat als niedersächsischer Ministerpräsident das Parlament und die Öffentlichkeit bezüglich der Finanzierung seines Hauskaufs falsch informiert. Zudem trägt er die politische Verantwortung für die verschleierte finanzielle Beteiligung des Landes Niedersachsen an dem privat organisierten sogenannten Nord-Süd-Dialog. Zudem hat sich Wulff mit fragwürdigen Freunden umgeben und nach dem Bekanntwerden der ersten Vorwürfe im Dezember 2011 sich insgesamt sehr unglücklich verteidigt.

Im Lichte der Amtsführung seines Nachfolgers Joachim Gauck könnte man zudem zu der Einschätzung kommen, dass Wulff für das höchste Staatsamt keine besonders glückliche Wahl war, dass ihm die Lebenserfahrung, Persönlichkeit und intellektuelle Weitsicht fehlte, um das Amt auszufüllen. Nur wäre er damit nicht der erste in der Riege der Bundespräsidenten und vor allem wäre dies kein Grund ihn aus dem Amt zu jagen. Und es ist kein Grund, ihn nach seinem Rücktritt wie einen politisch Aussätzigen zu behandeln, dem nicht einmal ein Ehrensold zustehe.

Auf der anderen Seite hat Wulff als Bundespräsident Akzente gesetzt, die bleiben. Vor allem mit seinem Einsatz für die Integration von Einwanderern. Mit dem Satz „der Islam gehört zu Deutschland“ hat er Geschichte geschrieben. Kurzum: Es hat in 64 Jahren Bundesrepublik schon schlechtere Bundespräsidenten gegeben.

Nach dem Ende der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wäre es also an der Zeit, die 600 Tage des Bundespräsidenten Christian Wulff politisch differenziert zu betrachten und ihn persönlich zu rehabilitieren. Darüber hinaus wäre es an der Zeit, die Wulff-Affäre in allen seinen Dimensionen historisch aufzuarbeiten. Außerdem sollte die Politik auch über verfassungsrechtliche Konsequenzen nachdenken.

Der Ex-Bundespräsident Roman Herzog hat nach dem Rücktritt von Christian Wulff die Frage aufgeworfen, ob in der Verfassung nicht die Möglichkeit geschaffen werden müsse, einen Bundespräsidenten abzuwählen. Bislang gibt es eine solche Möglichkeit nicht. Nur das Bundesverfassungsgericht kann gemäß Artikel 61 Grundgesetz auf Antrag des Bundestages oder des Bundesrates den Bundespräsidenten „wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes“ seines Amtes entheben. Denkbar wäre es stattdessen zum Bespiel, dass der Bundesversammlung in der Verfassung das Recht eingeräumt wird, einen Bundespräsidenten auch wieder abzuwählen. Das ist für eine Demokratie angemessener, als faktisch ein paar Staatsanwälte, über das politische Schicksal eines Bundespräsidenten entscheiden zu lassen.

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