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Griechenland steht vor einer Schicksalswahl.

© dpa

Europa-Superwahljahr 2015: Schicksalsgemeinschaft

In der Europäischen Union steht eine Reihe nationaler Wahlen an. An ihnen hängt die politische Zukunft Europas. Ein Kommentar

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Kaum haben sich die neuen Europaabgeordneten in ihren Büros in Brüssel und Straßburg zurechtgefunden und die EU-Kommissare ihre Mitarbeiterstäbe ernannt, da stehen in Europa schon die nächsten Wahlen an. Natürlich nicht die des Europaparlaments, sondern in einigen EU-Mitgliedstaaten. Sie werden die Zukunft der Europäischen Union mindestens genauso stark prägen wie die neuen Gesichter in Brüssel.

Darunter sind Griechenland, Großbritannien, Spanien, Polen, Portugal und Dänemark: drei der sechs größten EU-Mitgliedstaaten, drei der südlichen "Eurokrisenländer" und drei der Länder, in denen europaskeptische Links- oder Rechtspopulisten die Europawahlen gewannen. In diesen sechs Ländern lebt etwa ein Drittel der gesamten EU-Bevölkerung.

Zu einem Austritt Griechenlands wird es wohl nicht kommen

Doch der Reihe nach: Den Auftakt macht Griechenland am 25. Januar. Es könnte durchaus sein, dass der Linkspopulist Alexis Tsipras seinen Erfolg vom letzten Mai wiederholt, den ersten Platz bei den vorgezogenen Parlamentswahlen holt und die konservative Nea Dimokratia aus der Regierung drängt. Dann kämen Geberländer und EU-Institutionen nicht drum herum, mit einer von Syriza geführten Regierung über die zukünftige Ausrichtung der Eurorettungspolitik zu verhandeln. Zu einem Austritt Griechenlands aus dem Euro wird es wohl nicht kommen, dafür sind die Risiken für alle Seiten zu hoch. Ein begrenzter Schuldenschnitt sowie gewisse Anpassungen bei der Sparpolitik sind jedoch nicht auszuschließen, denn den Leidensdruck gerade der unteren Einkommensklassen wird ein Wahlgewinner Tsipras auf jeden Fall lindern müssen.

Das könnte wiederum Auswirkungen auf Portugal und Spanien haben, die in der zweiten Jahreshälfte ihre Parlamente neu wählen. In beiden Ländern haben konservative Regierungen mit Sparmaßnahmen und Wirtschaftsreformen gewisse Erfolge bei Schuldenabbau und Wirtschaftswachstum erzielt, allerdings mit dem Preis hoher Arbeitslosigkeit und niedrigerer Einkommen. Verbunden mit skandalösen Korruptionsaffären in beiden Ländern hat das die Bevölkerung von den traditionellen Parteien stark entfremdet.

In Spanien liegt in den Umfragen derzeit die neue Links-Partei namens Podemos ("Wir können") mit über 25% vorne. Sollte Pablo Iglesias, der Chef der linksalternativen Gruppierung, die aus den Protesten der Indignados hervorgegangen ist, die gegenwärtige Zustimmungsrate bis zu den Wahlen Ende des Jahres halten können, würde das zu gewaltigen Umwälzungen im bisher von den Sozialisten (PSOE) und Konservativen (PP) dominierten Parteienspektrum führen.  In Portugal sind solch starke Tendenzen zwar bisher nicht zu beobachten, jedoch wären die in Umfragen führenden oppositionellen Sozialisten  auf die Unterstützung europaskeptischer Linkspopulisten angewiesen. Ein Linksumschwung in Südeuropa steht also bevor.

Auch in Polen stehen Wahlen an

Die zukünftige Gestalt der EU am stärksten prägen werden aber die im Mai anstehenden Unterhauswahlen in Großbritannien. Denn hier steht nicht nur die Frage im Raum, ob die europaskeptische Anti-Establishment und -Einwanderungspartei Ukip ihren Europawahlerfolg (26,6 Prozent) auch ins nationale Parlament übersetzen kann. Sondern es steht auch auf dem Spiel, ob das Vereinigte Königreich Mitglied der EU bleibt. Getrieben von den Erfolgen der Ukip sowie den Parolen des europafeindlichen Flügels der eigenen Partei hat Premier Cameron seinen Wählern ein Referendum über den Verbleib des Landes im europäischen Staatenbund versprochen. Nach eigenen Aussagen will er ein negatives Votum zwar durch eine Neuverhandlung der Verträge und die Rückholung von Zuständigkeiten aus Brüssel verhindern. Im Falle eines Misserfolgs hat Cameron aber auch nicht ausgeschlossen, dass er selbst für einen Austritt werben wird. Ein EU-Referendum wäre damit nur durch einen Sieg der linken Labour-Partei zu vermeiden, die zwar nach neuesten Umfragen knapp vor den Tories liegt, jedoch kaum eine eigene Regierung bilden könnte.  

Aktuelle Debatten zu Integration von Migranten und Islamophobie

Das wird auch das Problem in einem häufig weniger beachteten Nachbarland Deutschlands sein. In Dänemark hatte bei der Europawahl, wie auch in Frankreich und Großbritannien, eine rechtspopulistische Partei die meisten Stimmen (26,6 Prozent) gewonnen. Die ausländerfeindlichen und nach der Regierung strebenden Europaskeptiker der Dänischen Volkspartei (DF) lagen über 7 Prozentpunkte vor den regierenden Sozialdemokraten der Premierministerin Helle Thorning-Schmidt. Die spätestens im September anstehenden Parlamentswahlen würde die europafreundliche Regierungschefin nach jetzigem Umfragestand gegenüber der liberal-konservativen Koalition verlieren. Diese hätte allerdings auch nur eine Parlamentsmehrheit mit Unterstützung der DF, die mit etwa 20 Prozent der Stimmen rechnen könnte. Tatsächlich sind im Vergleich zu Großbritannien Minderheitsregierungen in Skandinavien nicht ungewöhnlich, und frühere bürgerliche Regierungen waren bereits auf die Zustimmung der DF im Parlament angewiesen. Höchst fraglich ist, ob in Dänemark angesichts der aktuellen Debatten zu Integration von Migranten und Islamophobie ein ähnliches Mehrparteienbündnis zur Eindämmung der ausländerfeindlichen Rechtspopulisten wie in Schweden möglich wäre.

Auch im größten osteuropäischen EU-Mitgliedsstaat stehen 2015 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an. Polen hat mit der bürgerlichen Regierung von Donald Tusk seit 2007 einen europafreundlichen Kurs gefahren und ein ansehnliches Wirtschaftswachstum erzielt. Diese Entwicklung erfuhr 10 Jahre nach dem EU-Beitritt Polens seine Krönung mit der Ernennung Tusks zum Präsidenten des Europäischen Rats. Ob seine Nachfolgerin Ewa Kopacz die Bürgerplattform PO  bei den Wahlen im Oktober an der Macht halten kann oder diese an die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) des euroskeptischen EU-Reformers Jarosław Kaczyński abgeben muss, ist noch ungewiss. Davon wird auch abhängen, ob die Europa-Erfolgsstory Polen fortgesetzt wird.

Zu hoffen jedenfalls bleibt, dass Italien und Frankreich trotz knapper oder unsicherer Parlamentsmehrheiten Neuwahlen in diesem Jahr erspart bleiben, damit die Regierungen ihren bisherigen Reformkurs fortsetzen können. So oder so wird das Europa-Superwahljahr 2015 die europäische Schicksalsgemeinschaft sicherlich nicht weniger stark beeinflussen als das Europawahl-Jahr 2014. Die Arbeit der Bundesregierung wird dadurch nicht unbedingt einfacher.

Der Autor ist Jean Monnet Professor für Europäische Integration und Europapolitik and der Universität Duisburg-Essen.

Michael Kaeding

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