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Willkommen bei Facebook. Sind die schärfsten Kritiker immer die, die es nicht nutzen?

© dapd

Facebook: Nix war früher besser

Schon wieder führen sich die Kritiker von Facebook auf, als drohe der Untergang des Abendlandes. Das nervt.

Ein Gespenst geht um, und wer auf sich hält, warnt vor seiner Gefährlichkeit: der Algorithmus. Was früher einmal die Kulturindustrie war, der Verblendungszusammenhang oder das Kapital, das ist heute der Algorithmus. Also eine latente Struktur, die uns steuert, ohne dass wir es merken, ein abstraktes Prinzip, das nur die (wenigen) Aufgeklärten durchschauen, während die (vielen) Dummen in sein Netz gehen.

Algorithmen gab es schon immer, waren früher aber eher etwas für Mathe-Freaks. Heute ist der Algorithmus zur beliebtesten Münze der Gesellschaftskritik geworden. Wenn man in einer gebildeten Runde fragt, was die Macht ist, die uns manipuliert, wird an erster Stelle der Algorithmus genannt. Er ist zur Metapher geworden für das Internet, das alle Informationen, die wir einspeisen, speichert, sortiert und qualifiziert, um hinter unserem Rücken eine Matrix zu erstellen, in der wir gefangen sind wie die Fliege im Spinnennetz. Aus selbstbestimmten Individuen werden Persönlichkeitsprofile für die Werbewirtschaft. Der Algorithmus ist aus dieser Sicht eine dunkle Macht, die uns entmündigt, und wo wir noch glauben, ganz frei eine bestimmte Einspielung eines Beethoven-Streichquartetts herunterzuladen, hat in Wahrheit der Algorithmus unsere Hand geführt, der unseren Musikgeschmack besser kennt als wir selbst.

Die Verkörperung der Macht der Algorithmen, die uns im Moment am meisten umtreibt, ist Facebook. Hatten unsere Ängste vor dem totalitären Zugriff des Internets noch vor Kurzem Google gegolten, werden sie heute auf Facebook projiziert. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich bei Facebook die innigsten seelisch-kommunikativen Bedürfnisse des Menschen mit der digitalen Technologie so anschmiegsam verbunden haben wie in keiner anderen Internet-Anwendung. Deshalb fürchten viele um ihre Seele und darum, dass die Menschheit sich an ihrem zartesten Punkt einem Netzmonopolisten ausliefert. Wobei man feststellen muss: Die Sorge ums Seelenheil ist bei denen am größten, die noch nie einen Schritt in Richtung Facebook getan haben. Das Bild, das sie dabei von den Usern entwerfen, ist von verächtlicher Abwehr gezeichnet: digitaler Plebs, der die bürgerliche Unterscheidung zwischen privat und öffentlich verlernt habe.

Selbstbestimmung ist immer Arbeit

Als Facebook nun seine neuesten Weiterentwicklungen bekannt gab, herrschte wieder Alarmismus: Die »Timeline«, die jede Statusmeldung und jede Mediennutzung dauerhaft archiviert, sei die endgültige digitale Verknechtung des Menschen, Mark Zuckerberg der Big Brother unserer elektronischen Lebensläufe. Nina Pauer schrieb in der ZEIT der vergangenen Woche (Die Utopie ist da), mit »Timeline« sei die »Gleichzeitigkeit von Leben und seinem Abbild im Netz« möglich geworden. Sie findet für diesen Qualitätssprung den schönen Ausdruck eines »Lebens im Liveticker-Modus«.

Aber stimmt das? Fällt wirklich unsere ganze reale Existenz der elektronischen Archivierung anheim? In allen Diskussionen über Facebook wird die Vorstellung, dass es sich bei den Usern um mündige Bürger handeln könnte, stets als naiv zurückgewiesen. Dabei kann jeder genau steuern, welche Informationen auf Facebook auftauchen. Nur der YouTube-Clip, den ich auf Facebook runterlade, hinterlässt auf Facebook Spuren. Man muss Facebook nicht sein Adressbuch anvertrauen, man kann Applikationen blocken. Wenn ich nicht möchte, dass Facebook meine E-Mail-Nachrichten speichert, dann schreibe ich Mails mit einem anderen Programm. Das mag einen gewissen Aufwand erfordern, aber Selbstbestimmung ist immer Arbeit. Es ist richtig: Facebook ist ein schuftiges Unternehmen, das es seinen Kunden nicht einfach macht, den Überblick über seine Privatsphären-Einstellungen zu behalten. Aber wenn Facebook den Bogen überspannt, dann zieht die Karawane irgendwann weiter. Es sind schon andere Internet-Giganten, die für die Ewigkeit gemacht schienen, sehr rasch vom Fenster verschwunden. Man denke nur an AOL oder Myspace.

Der wiederkehrende Hauptvorwurf all jener, die den Menschen bei Facebook auf Abwegen sehen, lautet aber: Authentischer Austausch zwischen Menschen würde aufgegeben zugunsten oberflächlicher, virtueller Kommunikation. »Verliert nicht das«, schreibt Nina Pauer, »an Gewicht, was pausenlos abgefilmt, aufgenommen und kommentiert wird?« Hier sind wir im Herzen des Anti-Facebook-Ressentiments, das ein schlichtes kulturkritisches Argument wieder und wieder variiert: dass wir an einer Entgrenzung von Kommunikation leiden. Dass in der Gesellschaft insgesamt ein Exhibitionismus herrsche, der von Facebook auf die Spitze getrieben würde. Dass das narzisstische Selbst auf dem Vormarsch sei. Und dass kein Mensch die Nichtigkeiten, die da ausgetauscht würden, wirklich brauche.

Das Niveau von Facebook ist exakt so hoch wie der Freundeskreis, den ich mir zusammenstelle. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Dies Argument erinnert einen an Leute, die sich auf Partys über oberflächlichen Small Talk lustig machen. Man fürchtet diese Leute, denn es sind just die, deren Konversation jeder Esprit fehlt. Zugegeben, nicht jedes Posting ist eine kulturelle Sternstunde, aber auch das analoge Leben besteht nicht nur aus geistigen Höchstleistungen. Es geht auch um Zerstreuung. Die Zerstreuung mit Facebook ist produktiver als die vor dem Fernseher, weil man selber etwas hervorbringt. Kommunikation ist immer auch das Austesten und spielerische Entwerfen der Persönlichkeit, ist Brückenschlagen zu anderen und Integration in eine Gemeinschaft: Das leistet virtuelle Kommunikation nicht schlechter als die sogenannte reale. Sie ersetzt ja auch nicht die reale Begegnung, sondern bahnt sie mitunter an.

Dabei ist das Niveau von Facebook exakt so hoch wie der Freundeskreis, den ich mir zusammenstelle. Wenn ich die Postings meiner Freunde lese, bekomme ich eine Fülle von Anregungen über die Welt, die sich in ihrem analytischen Witz und ihrer zeitdiagnostischen Hellhörigkeit nicht kategorial unterscheiden von dem, was ich in der Zeitung lese. Nur dass Facebook ein Frühwarnsystem ist, bei dem die Themen früher auftauchen.

Wir brauchen eine neue Sorge ums Selbst

Die Kritiker von Facebook unterscheiden implizit zwischen hochwertiger und niederwertiger Kommunikation. Es gibt ein Reden, das der Authentizität des Menschen gerecht wird, und ein Reden, das den Menschen zur Sprechblase herabwürdigt. Facebook wird stets der niederwertigen Kommunikation zugeordnet. Dabei kenne ich kein Kriterium, das diese Unterscheidung steuert. Ich mache nur die Beobachtung, dass die meisten Menschen ihr eigenes Reden (besonders wenn es eine Klage über niederwertiges Reden ist) für hochwertig halten.

Natürlich ist es so: Wer bei Facebook nicht mitmacht, spricht wie der Blinde von den Farben. Und wer mitmacht, hat schon Blut geleckt und ist auf Droge. Natürlich verlangen neue Kommunikationsräume auch neue soziale Fähigkeiten. Die Evolution netzspezifischer Umgangsformen aber ist erstaunlich schnell und einfühlsam. Natürlich brauchen wir eine neue Sorge ums Selbst. Wir müssen lernen, unsere Expressivität zu dosieren. So wie man lernt, in einer Tischgesellschaft im rechten Moment das Wort zu ergreifen. Aber wir werden das hinkriegen. Die einen anmutiger, die anderen weniger anmutig. Schon klar. Und wenn gar nichts mehr hilft, gibt es zu guter Letzt noch die Web 2.0 Suicide Machine, die Facebook-Accounts rückstandsfrei entsorgt.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf zeit.de.

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